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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ledersitz und trank noch einmal, diesmal nur zum puren Vergnügen. Dann spazierte ich langsam durch die Nacht, die Arme weit ausgebreitet und die Augen zum Himmel gerichtet. Aus den schwarzen Gullys in den Straßen quoll heißer Dampf. Abfall in glänzenden Plastiksäcken lag wie moderne Plastiken am Straßenrand. Zarte kleine Bäumchen, die Blattansätze wie kleine, grüne Federstriche, bogen ihre stängeldicken Stämme im Wind. Hinter jeder hohen, sauberen Glastür der granitverkleideten Gebäude wartete der strahlende Glanz reich ausgestatteter Lobbys. In Schaufenstern lagen funkelnde Diamanten und dichte Pelze aus, und elegant geschnittene Jacketts und Kleider hingen auf Schaufensterpuppen mit hoch aufgetürmten Frisuren.
    Die dunkle, stumme Kathedrale zeigte nur ihre froststarrenden Türmchen und Spitzbögen, das Pflaster, auf dem ich an dem Morgen gestanden und auf die Sonne gewartet hatte, war jetzt sauber. Ich schloss die Augen. Versuchte ich das Wunder, das Gefühl der Inbrunst, der hochgespannten Erwartung und des Mutes zurückzuholen?
    Stattdessen klangen die jungfräulichen Töne der Appassionata durch die Nacht zu mir herüber, hell und leuchtend, aufwühlend, donnernd raste sie dahin, die stürmende Musik, die mich nach Hause rief. Ich folgte ihr.
    Die Uhr im Hotelfoyer zeigte sechs. Die Rezeption lag unbesetzt im abgedunkelten Licht. In wenigen Augenblicken würde die winterliche Dunkelheit zerreißen wie das Eis, das mich gefangen gehalten hatte. In einem Wandspiegel mit Rokokorahmen erblickte ich mein Bild. Ich sah mich, bleich, wachsgleich und unversehrt. Oh, die Sonne und das Eis hatten ihren Spaß mit mir gehabt, die Glut der einen war nur zu schnell im gnadenlosen Griff des anderen tiefgefroren. Nicht eine Narbe war zurückgeblieben.
    Aus diesem Ding, in dem der grenzenlose Schmerz fest eingesiegelt war, war ich nun neu erstanden, ganz und heil, mit funkelnden, weißen Fingernägeln und langen, gebogenen Wimpern rings um die klaren braunen Augen, nur hing an dem kleinen, zerrauften Cherub von einst nun ein Haufen schlecht sitzenden Putzes.
    Nie zuvor war ich so dankbar gewesen, mein allzu jungenhaftes Gesicht zu sehen, das bartlose Kinn und diese weichen, zarten Hände. Aber ich wäre den alten Göttern noch dankbarer gewesen, wenn sie mir in diesem Augenblick auch noch Flügel geschenkt hätten. Von oben klang die Musik, erhaben sprach sie von Trauer und Lust und unerschrockenem Mut. Wie sehr liebte ich dieses Stück! Und wer in der ganzen weiten Welt konnte die Sonate so spielen, wie sie, Sybelle, jeder Satz so frisch und rein wie ein Vogellied? Ich sah mich um. Das Hotel war elegant und teuer, mit alten Wandvertäfelungen und ein paar bequemen Sesseln, an der Wand die Schlüssel in kleinen, hölzernen Fächern aufgereiht. Eine große Vase mit Blumen, dem Markenzeichen guter Hotels, stand mitten im Foyer auf einem runden, schwarzen Marmortisch. Als ich an dem Strauß vorbeiging, pflückte ich mir eine große, rosafarbene Lilie mit tiefrotem Kelch, deren Blüte nach außen in Gold überging. Dann ging ich still die Feuertreppe hoch zu meinen Kindern.
    Sybelle unterbrach ihr Spiel nicht, als Benji mich einließ. »Du siehst wirklich großartig aus, Engel«, sagte Benji mit seinem typischen Schulterzucken. Sybelle spielte und spielte und wiegte ihren Kopf ganz ungekünstelt im Takt der Sonate.
    Benji rührte mich durch eine Reihe elegant ausgestatteter Zimmer. Meins sei viel zu kostbar eingerichtet, flüsterte ich, als ich den mit Gobelinstickerei versehenen Bettüberwurf und die Kissen mit den verschlissenen Goldfäden sah. Ich brauchte nichts als vollkommene Dunkelheit.
    »Aber das ist schon der einfachste Raum«, sagte er. Wieder Schulterzucken.
    Er hatte sich eine frische Djellaba angezogen, mit feinen blauen Streifen, wie ich sie in arabischen Ländern oft gesehen hatte. Und er trug weiße Socken zu seinen Sandalen. Wieder paffte er an seiner türkischen Zigarette und blinzelte durch den Rauch zu mir hoch. »Du hast mir doch die Uhr mitgebracht?« Ganz Sarkasmus und Amüsiertheit nickte er mir zu.
    »Nein«, antwortete ich, während ich in meine Tasche griff. »Aber du kannst das Geld haben. Da dein Hirn wie ein Tresor ist und ich keine Schlüssel dazu habe, sag mir doch: Hat irgendjemand dich gesehen, als du diesen Revolver tragenden Schurken mit der Dienstmarke hier hochgebracht hast?«
    »Ich habe ihn schon oft getroffen«, sagte er mit einer gelangweilten kleinen Geste. »Wir haben die

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