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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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durch und durch kannte, und er sagte, dass ich als einziger sein Kind sei, und dass sich mir, wenn er in der kommenden Nacht wieder hier wäre, bis dahin eine vollkommen neue Welt eröffnet hätte.
    »Eine neue Welt!«, rief ich. »Nein, Herr, verlasst mich nicht. Ich will nicht die Welt. Euch will ich!«
    »Amadeo«, sagte er in dieser nur uns beiden eigenen, geheimen Sprache, während er sich über das Bett beugte. Sein Haar war nun trocken und glänzend gebürstet, seine Hände weich von Puder. »Du hast mich für immer. Lass dir jetzt von den Jungen etwas zu essen geben und dich ankleiden. Du gehörst nun zu mir, zu Marius Romanus.«
    Er wandte sich an die Knaben und gab ihnen in der weichen, melodiösen Sprache seine Anweisungen. Und wenn man ihre glücklichen Gesichter sah, hätte man denken können, er hätte ihnen Gold und Zuckerwerk geschenkt.
    »Amadeo, Amadeo«, trällerten sie, während sie sich um mich scharten. Sie hielten mich fest, damit ich ihm nicht folgen konnte. Sie sprachen griechisch mit mir, schnell und flüssig, das war für mich nicht leicht. Doch ich verstand sie.
    »Komm mit uns, du bist einer von uns, wir sollen nett zu dir sein, sogar besonders nett.« Sie kleideten mich eilig in abgelegte Sachen, während sie miteinander darüber stritten, ob diese Tunika und jene verwaschenen S trümpfe gut genug für mich seien, aber nun, es war nur für den Augenblick! Zieh die Schuhe an, hier, ein kurzes Wams, das Riccardo zu klein geworden ist! Mir schienen es die Kleider von Königen zu sein.
    »Wir haben dich gern«, sagte Albinus, der direkt nach Riccardo zu bestimmen hatte, und dessen Äußeres - blondes Haar und blassgrüne Augen - drastisch von dem des schwarzhaarigen Riccardo abstach. Die anderen konnte ich nicht so recht auseinander halten, doch bei diesen beiden war es einfach.
    »Ja, wir haben dich gern«, sagte Riccardo, warf sein schwarzes Haar zurück und blinzelte mir zu. Seine Haut war ganz samtig und dunkel im Vergleich zu der der anderen Jungen. Seine Augen waren tiefschwarz. Als er meine Hand drückte, fiel mir auf, wie lang und schlank seine Finger waren. Alle hier hatten so schlanke, feingliedrige Finger! Finger, wie auch ich sie besaß, und meine hatten, anders als die meiner Brüder, als ungewöhnlich gegolten. Aber daran konnte ich mich zu dem Zeitpunkt nicht erinnern.
    Eine unheimliche Idee formte sich in meinem Kopf - die Möglichkeit, dass ich, das blasse Kind in der Familie, das Kind, das nur Ärger machte, das Kind mit den fein geformten Fingern, einfach fortgezaubert worden war in dieses schöne Land, in dem ich mich wohl fühlte. Aber dies war wohl zu märchenhaft, um es zu glauben. Mein Kopf schmerzte. Ich sah in blitzartigen, stummen Bildern die stämmigen Reiter, die mich gefangen hatten, sah den stinkenden Bauch des Schiffes, das mich nach Konstantinopel gebracht hatte, und hagere geschäftige Männer, die sich aufgeregt um mich bemühten. Guter Gott, warum sollte mich jemand lieben? Wieso? Marius Romanus, warum liebst du mich?
    Der Meister, schon an der Tür, winkte mir lächelnd. Die Kapuze, die er über den Kopf gezogen hatte, bildete einen scharlachroten Rahmen für seine edlen Wangenknochen und die geschwungenen Lippen. Tränen stiegen mir in die Augen.
    Weißer Nebel wirbelte um unseren Herrn, als er die Tür hinter sich schloss. Die Nacht verging langsam. Doch noch brannten die Kerzen. Wir betraten einen großen Raum, in dem überall verstreut Farben und Gefäße mit Farbgrundstoffen und Pinsel in irdenen Krügen zur Benutzung bereitstanden. Große weiße Tuchflächen - Leinwand warteten darauf, bemalt zu werden.
    Die Jungen rührten ihre Farbe nicht nach althergebrachter Art mit Eigelb an. Sie mischten die fein gemahlenen Farbpigmente unmittelbar mit dem goldbraunen Öl. Auch für mich waren die fett glänzenden Farben in ihren kleinen Tiegeln vorgesehen. Als man mir einen Pinsel reichte, nahm ich ihn. Ich betrachtete das straff gespannte weiße Tuch, auf dem ich malen sollte.
    »Nicht von Menschenhand«, sagte ich. Doch was meinte ich mit diesen Worten? Ich hob den Pinsel und begann zu malen, wollte ihn malen, den blondhaarigen Mann, der mich aus Finsternis und Verkommenheit errettet hatte. Ruckartig bewegte ich die Hand mit dem Pinsel vorwärts, tauchte die Borsten in die Töpfe mit Beige und Rosa und Weiß und tupfte die Farben auf die so seltsam elastische Leinwand. Doch ich brachte einfach kein Gemälde zustande. Es wurde kein Bild! »Nicht von

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