Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
geschändet, wie man mich geschändet hatte. Ah, meine Schande, sie war vergessen, brachgelegt durch all das, was lebensfroh und heil so unvermittelt rings um mich aufschäumte! Wie konnte dies alles aus kalter Asche neu erstanden sein? Wie kam es, dass ich inmitten von Schnee und rauchenden Feuern gestorben war und hier unter der lieblichen Sonne wiedergeboren wurde?
Ihre warmen, wonnigen Strahlen übergossen Bettler und Händler gleichermaßen. Sie schienen auf die dahinschreitenden Fürsten mit den reich verzierten, von ihren Pagen gehaltenen Samtschleppen, auf Buchhändler, die ihre Bücher unter roten Baldachinen ausgebreitet hatten, auf Lautenspieler, die um kleine Münzen wetteiferten. Das Handelsgut der ganzen weiten, vom Teufel verführten Welt war in den Läden und Marktständen ausgestellt - Glaswaren, wie ich sie nie gesehen hatte, darunter Pokale in allen möglichen Farben, ganz zu schweigen von kleinen Figurinen aus Glas, wie Tiere und Menschengestalten, und sonstiger durchsichtiger, glitzernder Kram. Es gab wunderbar schimmernde, herrlich gedrechselte Perlen für Rosenkränze, überwältigende Spitzen mit kunstvollen Mustern, sogar mit schneeweißen Kirchtürmen und Häuschen mit Fenstern und Türen. Lange, flaumige Federn von Vögeln, deren Namen ich nicht kannte, andere exotische Vogelarten flatterten und kreischten in vergoldeten Käfigen, und die feinsten, wunderbar gearbeiteten, vielfarbigen Teppiche gab es, die mich nur zu sehr an die mächtigen Türken und ihre Hauptstadt erinnerten, aus der ich hergebracht worden war. Dennoch, konnte man solchen Teppichen widerstehen? Denn da den Moslems die Abbildung des Menschen verboten war, hatten sie sich auf Blumen, Arabesken, verschlungene Schleifen und Bögen und ähnliche Muster verlegt, alles in kühnen Farben und mit Ehrfurcht gebietender Sorgfalt gestaltet. Es gab verschiedene Lampenöle, es gab Wachsstöcke, Kerzen und Weihrauch, und in vielen Auslagen ein breites Sortiment glitzernder Edelsteine von unbeschreiblicher Schönheit und die zierlichsten Gold- und Silberschmiedearbeiten, ob es nun Tafelbesteck oder Ziergegenstände waren, brandneu oder als Antiquität. Es gab Läden, in denen nur Gewürze verkauft wurden, andere rührten Medikamente und Heiltränke. Es gab aus Bronze gefertigte Statuen, Löwenköpfe, Laternen und Waffen. Tuchhändler waren vertreten mit ihren Seidenstoffen aus dem Osten, mit hauchdünnen Wollstoffen in wundersamen Farben, mit Baumwollgeweben und Leinen und feinsten Stickereien und Bändern zuhauf.
Die Männer und Frauen hier erschienen mir unerhört reich, wie sie so lässig in den Garküchen schmausten und sich frisch zubereitete Fleischtaschen, klaren roten Wein und süße, rahmgefüllte Küchlein schmecken ließen.
Buchhändler waren da, die ihre frisch gedruckten Bücher feilboten. Darüber sprachen die anderen Jungen ganz begeistert, sie erklärten mir die wunderbare Erfindung der Druckerpresse, die es erst kürzlich den Menschen weit und breit möglich gemacht hatte, nicht nur Bücher mit gedruckten Buchstaben und Worten dann zu erwerben, sondern sogar mit gemalten Abbildungen.
Allein in Venedig gab es dutzende kleiner Druckereien und Verlage, in denen die Druckpressen unermüdlich arbeiteten, um Bücher in Griechisch und Latein herzustellen, und sogar in der Landessprache dieser weichen, melodiösen Sprache -, die die Jungen, die alle auch Lehrlinge bei unserem Meister waren, untereinander sprachen. Ich durfte stehen bleiben und mich an diesem Wunder, an diesen Maschinen, die Buchseiten machen konnten, satt sehen.
Aber Riccardo und die anderen, sie hatten auch noch ihre Aufträge zu erledigen - sie sollten für unseren Herrn Drucke und Gravierungen deutscher Maler aufstöbern, Abbildungen, die die neuen Druckpressen von den Bildern der alten Meister wie Memling, van Eyck oder Hieronymus Bosch gemacht hatten. Nach diesen war unser Gebieter immer auf der Suche. Diese Zeichnungen brachten den Norden zum Süden. Und unser Herr war ein großer Streiter für die wunderbaren Neuheiten. Er war sehr zufrieden darüber, dass in unserer Stadt mehr als hundert Druckerpressen existierten, dass er seine groben, ungenauen Kopien von Livius und Vergil fortwerfen und nun die neuen, korrigierten Texte als Druck erwerben konnte.
Ach, ich hatte so viel Neues zu verdauen!
Und nicht weniger wichtig als die Literatur oder die Gemälde der ganzen Welt war die Frage meiner Kleidung. Wir mussten den Schneider dazu bringen, alles
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