Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
andere stehen und liegen zu lassen, um mich anhand von kleinen Kreidezeichnungen, die unser Herr angefertigt hatte, passend einzukleiden.
Auch mussten handgeschriebene Kreditbriefe zur Bank gebracht werden. Ich musste schließlich Geld haben, und das galt auch für die anderen. Ich selbst hatte so etwas wie Geld noch nie in der Hand gehabt. Geld war hübsch anzusehen - Florentiner Gold- oder Silbermünzen, deutsche Florin, böhmische Groschen, ausgefallene alte Münzen, die die Regenten Venedigs - die man Do gen nannte - hatten prägen lassen, fremdländische Münzen aus Konstantinopel. Ich bekam einen Beutel mit klingelndem, klirrendem Geld, das mir allein gehörte. Die »Börsen« trugen wir an unseren Gürteln befestigt.
Einer der Jungen kaufte mir ein kleines Wunderding, weil ich es so angaffte. Es war etwas, das tickte und die Zeit einteilte. Diese Idee, die das kleine, tickende, juwelenbesetzte Ding verkörperte, verstand ich nicht, wie oft auch meine Begleiter mit den Händen erklärend auf den Himmel wiesen. Nach Langem endlich erkannte ich geschockt: Unter all dem farbigen Filigran, dem befremdlichen Glas und dem juwelengeschmückten Rahmen verbarg sich eine winzige Uhr! Ich schloss meine Hand darüber und fühlte einen Schwindel. Bisher hatte ich Uhren nur als gewaltige, ehrfürchtig bewunderte Geräte in Glockentürmen oder an Wänden hängend gekannt.
»Ich trage nun die Zeit mit mir«, flüsterte ich auf Griechisch, während ich meine Freunde ansah.
»Amadeo«, scherzte Riccardo. »Dann zähl die Stunden für mich.« Ich wollte sagen, dass diese erstaunliche Entdeckung eine Bedeutung hatte, für mich persönlich. Für mich war es eine Botschaft aus einer anderen Welt, die ich gefährlich schnell vergessen hatte. Die Zeit war nicht mehr die Zeit und würde es nie wieder sein. Tag bedeutete nicht mehr Tag, Nacht nicht mehr Nacht. Ich konnte es nicht artikulieren, weder in Griechisch noch in einer anderen Sprache oder in meinen fiebrigen Gedanken. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich blinzelte in die gleißende Sonne Italiens. Meine Augen hafteten an den Vögeln, die in großen Schwärmen über den Himmel zogen, wie kleine Federstriche, die im gleichen Takt sich rührten. Ich glaube, ich wisperte töricht vor mich hin: »Wir sind in der Welt.«
»Wir sind im Mittelpunkt der Welt, in der größten Stadt der Welt!«, rief Riccardo, während er mich durch die Menge schob. »Und wir werden noch genug davon sehen, ehe wir in der Schneiderei eingepfercht sind, das steht, verflixt noch mal, fest.«
Zunächst war ein Süßigkeitenstand an der Reihe, mit seinen Wunderwerken aus gezuckerter Schokolade und klebrigen Mischungen aus mir unbekanntem, leuchtend rotem und gelbem Zuckerzeug.
Einer der Jungen zeigte mir ein kleines Buch mit schockierenden gedruckten Bildern, die Männer und Frauen in fleischlicher Umarmung zeigten. Es waren die Erzählungen von Boccaccio. Riccardo sagte, er werde sie mir vorlesen, das Buch sei wirklich hervorragend geeignet, mich Italienisch zu lehren. Und er werde mich auch Dante lehren. Boccaccio und Dante waren Florentiner, sagte einer der anderen Jünglinge, aber im Großen und Ganzen wären beide nicht schlecht. Sie sagten, dass unser Meister alle Bücher liebte. Dafür Geld auszugeben war nie verkehrt, es machte ihm stets Freude. Später erlebte ich oft genug, dass die Lehrer, die ins Haus kamen, mich rasend machten mit ihren Lektionen. Was wir zu lernen hatten, waren die studia humanilatis, und das umfasste Geschichte, Grammatik, Rhetorik, Philosophie und die antiken Schriftsteller … dies alles waren nur blendende Worte, die mir ihre Bedeutung erst enthüllten, als sie mir in der folgenden Zeit häufig genug wiederholt und erklärt wurden. Eine weitere Lektion, die ich lernen musste, war die, dass wir gar nicht gut genug aussehen konnten, wenn es nach unserem Meister ging. Goldene und silberne Ketten, Halsbänder mit Medallions und sonstigen Anhängern wurden erworben und mir umgelegt. Ich brauchte Ringe, edelsteingeschmückte Ringe, um die wir uns mit den Juwelieren einen heftigen Preiskampf lieferten, doch als ich das hinter mich gebracht hatte, trug ich einen echten Smaragd aus der neuen Welt am Finger und zwei Rubinringe mit silberner Gravur, die ich jedoch nicht entziffern konnte.
Ich konnte mich an meiner Hand mit den Ringen nicht satt sehen. Du siehst, bis zu dieser heutigen Nacht, also seit immerhin fünfhundert Jahren, habe ich eine Schwäche für
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