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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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imstande, mich am Leben zu halten. Ich wusste, ich war auf dem Weg heim. Ich war auf dem Weg heim. Ich würde sterben und heimgehen. Der Übergang würde sehr schmerzhaft sein. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich geweint. Aber ich war nie allein. Ich würde unter den Blicken anderer sterben müssen. Seit ewigen Zeiten hatte ich kein Tageslicht mehr gesehen. Selbst die Lampen bereiteten meinen Augen Schmerzen, so lange war ich schon in ständiger Dunkelheit. Und immer war jemand da.
    Von Zeit zu Zeit flammte die Lampe auf. Die Knaben mit ihren unsauberen Kindergesichtern setzten sich im Kreis um mich herum, und mit ihren flinken, pfotengleichen Händen schoben sie mir das Haar aus dem Gesicht oder schüttelten mich an der Schulter. Dann drehte ich den Kopf zur Wand.
    Ein einziges Geräusch begleitete mich. Es sollte wohl das Ende meines Lebens kennzeichnen. Dieses Geräusch war das Plätschern von Wasser. Ich hörte es draußen gegen die Wand schwappen. Ich wusste, wann ein Boot vorbeifuhr, und ich hörte das Knarren der hölzernen Streben. Dann legte ich den Kopf gegen die Steinwand und spürte, wie das Haus schwankte, als stünde es nicht am Ufer, sondern mitten im Wasser, was natürlich auch stimmte.
    Einmal träumte ich von daheim, aber ich weiß nicht mehr, wie es war. Ich wachte weinend auf, und gleich kam eine Flut Anteil nehmenden Gemurmels aus den düsteren Ecken, rührselige, schmeichlerische Stimmen.
    Ich wäre so gern allein gewesen, war es jedoch nie. Als sie mich eine Zeit lang Tag und Nacht in einem dunklen Raum ohne Brot oder Wasser einsperrten, begann ich zu schreien und gegen die Wände zu schlagen. Niemand kam.
    Nach einiger Zeit fiel ich in eine Starre. Es war ein herber Schock für mich, als die Tür geöffnet wurde. Ich setzte mich auf und verhüllte meine Augen. Die Lampe war peinvoll für mich. In meinem Kopf hämmerte es.
    Doch dann wehte ein zartes Aroma zu mir herüber, brennendes Holz, das in schneereichem Winter seinen lieblichen Duft verströmte, zerdrückte Blütenblätter und pikant-würziges Öl.
    Etwas Hartes berührte mich, etwas aus Holz oder Metall, nur das dieses Etwas sich bewegte, als wäre es ein Organismus. Als ich schließlich die Augen öffnete, sah ich, dass mich ein Mann umfasste, und dass diese Berührung wie von Stein oder Metall von seinen Fingern herrührte, und der Mann sah mich gespannt mit gütigen blauen Augen an.
    »Amadeo«, sagte er.
    Er war von Kopf bis Fuß in roten Samt gekleidet und von wunderbar großer Statur. Sein reiches, blondes Haar war in der Mitte gescheitelt wie bei einem Heiligen und fiel in glänzenden Locken über die Schultern hinab bis auf seinen Umhang. Die glatte Stirn wies nicht eine einzige Linie auf, und seine hochgeschwungenen, goldenen Augenbrauen waren gerade dunkel genug, um seinem Gesicht einen klaren, entschlossenen Ausdruck zu verleihen. Seine Wimpern bogen sich wie dunkelgoldene Fäden von seinen Lidern hoch. Und als er lächelte, überzogen sich seine Lippen unversehens mit hellem Rot, so dass man noch deutlicher sah, wie voll und gut geschnitten sie waren. ER war es. Ich sprach zu ihm. In wessen Antlitz sonst hätte ich solche Wunder finden können? Er lächelte mich gütig an. Seine Oberlippe und sein Kinn waren glatt geschoren. Ich konnte nicht das feinste Härchen an ihm wahrnehmen, und seine Nase war schmal und fein geformt, jedoch im Einklang mit den Proportionen seiner faszinierenden Gesichtszüge.
    »Nein, nicht der Heilige Christ, mein Kind«, sagte er. »Aber jemand, der auch Erlösung mit sich bringt. Komm in meine Arme.«
    »Ich sterbe, Herr.« Welche Sprache sprach ich? Ich weiß es bis heute nicht. Doch er verstand mich.
    »Nein, mein Kleiner, du stirbst nicht. Du bist nun unter meinem Schutz, und vielleicht, wenn die Sterne uns günstig sind, wenn sie uns freundlich gesinnt sind, wirst du niemals sterben müssen.«
    »Aber Ihr seid Christus. Ich erkenne Euch.« Er schüttelte den Kopf, und wie ein wirklich ganz gewöhnlicher Sterblicher schlug er dabei die Augen nieder und lächelte. Seine vollen Lippen teilten sich, doch zeigten sie nur die weißen Zähne eines Menschenwesens. Er schob seine Hände unter meine Achseln, hob mich hoch und küsste meine Kehle. Lähmende Schauder rannen durch meinen Körper. Ich fühlte seine Finger auf meinen Lidern, als ich die Augen schloss, und ich hörte seine Stimme in meinem Ohr: »Schlaf, während ich dich heimbringe.« Als ich aufwachte, befand ich mich in einem riesigen

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