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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Dieses Mal bewegten sich seine Lippen. Das blasse, zarte Korallenrot erhellte seine Miene, seine Augen weiteten sich und blickten offen. Ich sah sein altes Selbst, wie ich es kannte und schätzte. »Ganz leicht kann ich dir deine letzten Kräfte nehmen.« Er beugte sich über mich, so dass ich die winzigen Schattierungen in seinen Pupillen wahrnehmen konnte, und die hellen Sternentupfer hinter der dunkelnden Iris. Seine Lippen, so wundersam mit all den feinsten Linien menschlicher Lippen geziert, waren rosig, scheinbarer Sitz ganz menschlicher Küsse. »Ich kann so leicht den letzten todbringenden Schluck von deinem Knabenblut nehmen, einen letzten, tiefen Zug von der Jugendfrische, die ich so liebe, und dann läge in meinem Arm nur noch ein Leichnam, wenn auch mit solcher Schönheit gesegnet, dass jeder bei seinem Anblick in Tränen ausbricht, und dieser Leichnam wird mir nichts mehr sagen. Du bist dahin, das wäre alles, was ich weiß, und nichts sonst.«
    »Sagt Ihr diese Sachen, um mich zu foltern? Herr, wenn ich nicht dorthin gehen kann, zu jener Stätte, dann will ich mit Euch zusammen sein!«
    Seine Lippen bewegten sich lautlos in schlichter Verzweiflung. Er schien einfach nur ein Mensch zu sein, und das rote Blut, das in den Rändern seiner Lider stand, rührte von Erschöpfung und Trauer gleichermaßen her. Seine Hand, die er ausgestreckt hatte, um mein Haar zu streicheln, zitterte.
    Ich fing sie ein, als wäre sie ein schwankender Zweig hoch über meinem Kopf. Und wie Blätter zog ich seine Finger an meine Lippen und küsste sie. Dann legte ich sie auf die Wunde an meiner Wange. Unter ihnen fühlte ich das Pochen in dem giftverseuchten Schnitt. Doch noch viel deutlicher fühlte ich das Zittern, das durch seine Finger lief.
    Ich kniff die Augen zusammen. »Wie viele mussten heute Nacht sterben, um dich zu nähren?«, flüsterte ich. »Und wieso kann es das geben, wenn doch Liebe das Einzige ist, aus dem die Welt gemacht ist? Du bist zu schön, um übersehen zu werden. Ich bin verwirrt. Ich kann es nicht verstehen. Aber könnte ich es denn vergessen, wenn ich diesen Moment überleben würde, weiterleben würde als einfacher sterblicher Jüngling?«
    »Amadeo, du kannst nicht weiterleben«, sagte er traurig. Seine Stimme brach. »Du kannst nicht überleben! Das Gift ist zu tief, zu weit schon in deinen Körper eingedrungen, und die kurzen Schlucke von meinem Blut genügen nicht, um es zu neutralisieren.« Sein Gesicht war von tiefem Kummer gezeichnet. »Kind, ich kann dich nicht retten. Schließe die Augen. Nimm meinen Abschiedskuss. Zwischen mir und denen an dem jenseitigen Ufer gibt es keine Freundschaft, doch wer so, den Naturgesetzen folgend, stirbt, den müssen sie zu sich nehmen.«
    »Herr, nein! Herr, ich traue mich nicht allein. Herr, sie haben mich hierher zurückgeschickt, und hier bist auch du, es war nicht anders zu erwarten, wie hätten sie das also nicht wissen sollen?«
    »Amadeo, es kümmerte sie nicht. Die Wächter der Toten sind überaus gleichgültig. Sie sprechen von Liebe, aber nicht von den Jahrhunderten, durch die man stolpert, in Unwissen verstrickt.
    Was sind das für Sterne, die so lieblich klingen, während sich die ganze Welt in Dissonanzen suhlt? Ich wünschte, du würdest sie zum Handeln zwingen, Amadeo.« Seine Stimme versagte ihm fast vor Schmerz. »Amadeo, mit welchem Recht belasten sie mich mit deinem Geschick?«
    Ich stieß ein kraftloses, trauriges Lachen aus. Das Fieber schüttelte mich. Schreckliche Übelkeit rollte über mich hinweg. Wenn ich mich bewegte oder sprach, würde mich ein grässliches, trockenes Würgen packen und mich völlig sinnlos schwächen. Lieber wollte ich gleich sterben, als das durchzumachen.
    Schließlich sagte ich: »Herr, ich wusste, du würdest das ganze einer großartigen Analyse unterziehen.« Ich bemühte mich um eine Lächeln, das nicht bitter oder sarkastisch war, sondern nur die simple Wahrheit meiner Worte betonte. Es fiel mir inzwischen so schwer zu atmen, dass mir schien, ich könnte ganz einfach und problemlos damit aufhören. Biancas strikte Ratschläge fielen mir wieder ein. »Herr«, sagte ich, »es gibt keinen Schrecken in dieser Welt, der nicht letztendlich seine Wiedergutmachung findet.«
    »Ja«, sagte er drängend, »nur, was ist der Preis für eine solche Erlösung? Amadeo, wie können sie es wagen, mich in ihren unverständlichen Weltenplan einzubeziehen? Ich bete darum, dass du nur Wahnvorstellungen hattest. Sprich mir nicht

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