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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ebenso gut hören konnte wie ich.
     
    »21. September 1859
    Es ist schon Jahrzehnte her, seit Louis mir dieses kleine Buch geschenkt hat, damit ich meine intimsten Gedanken darin eintrage. Das ist mir nicht besonders gelungen, denn ich habe nur ein paar Mal hineingeschrieben, und ob diese Eintragungen zu meinem Besten waren, da bin ich mir nicht so sicher. Heute Nacht nun vertraue ich auf Papier und Feder, denn ich weiß, wohin mein Hass mich führen wird. Und ich fürchte um die, die meinen Zorn erregt haben. ›Die‹, das sind natürlich meine schrecklichen Eltern, meine großartigen Väter, die, die mich aus einer längst vergessenen Sterblichkeit heraus und in diesen fragwürdigen Zustand zeitloser ›Seligkeit‹ hineinführten. Louis statt Lestat zu beseitigen wäre eine Dummheit, denn er ist zweifellos von den beiden der Fügsamere.«
     
    Louis hielt inne, als könne er nicht weiterlesen.
    Ich sah, wie sich Merricks Finger fester in sein Knie gruben. »Lesen Sie, ich bitte Sie«, sagte sie sanft. »Sie müssen weiterlesen.« Louis begann wieder zu lesen, die Stimme sachte gedämpft wie zuvor und ganz bewusst emotionslos.
     
    »Louis wird tun, was ich will, und wenn es Lestats Vernichtung wäre, die ich bis ins Kleinste plane. Wohingegen Lestat niemals mit mir zusammenarbeiten würde, wenn es um Louis ginge. Also gehört meine Treue ihm, unter dem Deckmantel der Liebe, womit ich die Sache sogar mir selbst gegenüber rechtfertige. Was sind wir doch für ein Geheimnis Mensch, Vampir, Ungeheuer, Sterbliche -, dass wir gleichzeitig lieben und hassen können und dass wir alle möglichen unaufrichtigen Gefühle zur Schau stellen! Ich betrachte Louis und verachte ihn zutiefst, weil er mich zu einem Vampir gemacht hat, und doch liebe ich ihn. Aber Lestat liebe ich ganz und gar genauso.
    Vielleicht denke ich im Innersten, dass Louis für meinen jetzigen Zustand viel mehr Verantwortung trägt, als ich meinem impulsiven, naiven Lestat je anlasten könnte. Die Tatsache aber bleibt, dass einer von ihnen dafür sterben muss, oder ich werde meinen Schmerz niemals in mir verschließen können. Und Unsterblichkeit ist nur ein monströses Maß für die Leiden, die ich ertragen muss, bis die Welt vergeht. Einer muss sterben, damit der andere umso abhängiger von mir wird, mir umso heftiger in sklavischem Gehorsam verfällt. Ich würde anschließend reisen, die Welt sehen, ich würde endlich meinen Willen bekommen. Ich kann keinen der beiden ertragen, es sei denn, er würde mein Diener in Gedanken, Worten und Taten.
    Und solch ein Schicksal wäre für Lestat mit seinem unlenkbaren, ungebärdigen Charakter nicht denkbar. Dieses Schicksal wäre wie gemacht für meinen melancholischen Louis, wenn auch die Vernichtung Lestats für Louis neue Wege in das Höllenlabyrinth öffnen wird, in dem ich selbst sowieso schon durch jeden neu gedachten Gedanken schreite.
    Wann und wie ich zuschlagen werde, weiß ich noch nicht. Nur dass es mir sublimes Entzücken bereitet, Lestat in seiner gedankenlosen Heiterkeit zu beobachten - in dem Wissen, dass ich ihn, indem ich ihn vernichte, gleichzeitig vollkommen demütige und damit das hehre, nutzlose Gewissen meines Louis’ ruiniere, auf dass, wenn schon nicht sein Körper, so doch wenigstens seine Seele endlich meiner eigenen Größe entspricht.«
     
    Der Abschnitt war zu Ende.
    Ich merkte es nur an Louis’ verständnisloser, schmerzerfüllter Miene, an der Art, wie seine Brauen ganz leicht bebten, und dann daran, wie er sich noch tiefer in seinen Sessel drückte und das kleine Buch schloss. Er hielt es müßig in der linken Hand, als habe er es ganz vergessen. Er sah weder mich noch Merrick an. »Wollen Sie immer noch mit diesem Geist in Verbindung treten?«, fragte Merrick zurückhaltend. Sie streckte die Hand nach dem Ta gebuch aus, und er gab es ihr ohne Widerspruch. »Oh ja«, seufzte er tief. »Ich möchte es mehr als alles andere.« Ich hätte ihn gern getröstet, aber dieser Schmerz gehörte ganz allein ihm, so dass Worte nicht daran rühren konnten. »Ich kann Claudia wegen ihres Gefühlsausbruchs keine Vorwürfe machen«, fuhr er mit schwacher Stimme fort. »Immer nimmt es ein tragisches Ende mit uns.« Sein Blick hastete fiebrig zu Merrick. »Stellen Sie sich vor, dass man es die Dunkle Gabe nennt, wenn es doch letztendlich immer traurig endet.« Er lehnte sich hastig zurück, als kämpfe er gegen seine Gefühle an. »Merrick«, sagte er, »woher kommen sie, diese Geister? Ich kenne

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