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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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tun?«, fragte ich niedergeschlagen. »Ich weiß bei dieser Angelegenheit nicht einmal, was in meinem eigenen Herzen vorgeht. Und ich fürchte um ihres.«
    »Du sollst gar nichts tun«, sagte Louis, etwas ruhiger als zuvor. »Lass es einfach laufen wie geplant.«
    Zusammen schritten wir weiter durch das heruntergekommene Viertel. Schließlich kamen die geschwungenen roten Neonschriftzeichen einer Bar in Sicht, die zwischen den sperrigen Ästen eines absterbenden Baumes aufblinkten. Jemand hatte mit dicker Schrift Angebote auf die holzvernagelte Fassade gepinselt, und das Licht drinnen war so schwach, dass man durch die schmutzigen Scheiben der Tür kaum etwas erkennen konnte.
    Louis trat dort ein, und ich folgte ihm, erstaunt über die unzähligen schmutzverkrusteten Tischchen und die große Anzahl männlicher Weißer, die an der langen Mahagonitheke standen und plauderten und tranken. Hier und da waren auch Frauen in Jeans kleidung zu sehen, wie ihre männlichen Begleiter waren sie unterschiedlichsten Alters. Abgedeckte Glühbirnen in Deckennähe erzeugten ein hässliches rotes Licht. Überall sah ich nackte Arme und schmuddelige, ärmellose Hemden, sah verstohlene Mienen und Zynismus, verschleiert von weiß blitzendem Lächeln. Louis schob sich zu einer Ecke des Raumes vor und setzte sich auf den hölzernen Stuhl neben einem großen, unrasierten Mann mit buschigem Haar, der allein an seinem Tisch saß und mürrisch über einer Flasche mit schalem Bier brütete. Ich folgte Louis, während mir der Mief von Schweiß und dichten Wolken Zigarettenrauchs in die Nase stieg. Alle Stimmen hier waren rau, und der hämmernde Rhythmus der Musik war hässlich, wie auch die Worte, die gesprochen wurden, hässlich waren.
    Ich ließ mich gegenüber dem armseligen, verkommenen Sterblichen nieder, der seine farblosen Augen erst auf Louis, dann auf mich richtete, als erwarte er, gleich eine Menge Spaß zu bekommen.
    »Na, was kann ich für Sie tun, meine Herren?«, fragte er mit tiefer, dröhnender Stimme. Seine gewaltige Brust hob sich unter einem verschlissenen Hemd. Er setzte die braune Flasche an und ließ das goldene Bier in seine Kehle fließen.
    »Kommt, Herrschaften, sagt es mir!« Er sprach undeutlich, trunken. »Wenn Männer in eurem Aufzug hier herkommen, wollen sie etwas. Na, was ist es? Sage ich etwa, dass ihr hier nicht richtig seid? Zur Hölle, meine Herren, nein! Vielleicht gibt es Leute, die das behaupten würden. Die würden vielleicht auch sagen, dass Sie sich schwer geirrt haben! Aber nicht ich, meine Herren. Ich habe für alles Verständnis. Ich bin ganz Ohr. Wollen Sie ein paar Nutten? Oder fehlt Ihnen ein bisschen Stoff?« Er lächelte uns an. »Ich habe feine Sachen für Sie. Spielen wir Weihnachten! Sagen Sie mir, was Ihr Herz begehrt.«
    Er lachte, stolz auf seine Rede, dann trank er wieder aus der schmuddeligen Flasche. Seine Lippen waren rosafarben, sein Kinn von ergrauenden Bartstoppeln überzogen.
    Louis fixierte ihn, ohne zu antworten. Ich sah fasziniert zu. Louis’ Gesicht verlor nach und nach jeden Ausdruck, jede Andeutung eines Gefühls. Es hätte das Gesicht eines Toten sein können, so wie er bewegungslos sein Opfer anstarrte, ihm sozusagen sein Mal aufdrückte, es seiner armseligen Menschlichkeit entkleidete, während sich der Wunsch zu töten von der Möglichkeit über die Wahrsche inlichkeit bis zum festen Entschluss entwickelte.
    »Ich möchte Sie töten«, sagte Louis sanft. Er beugte sich weit zu dem Mann vor und schaute ihm tief in die blassgrauen, rot geränderten Augen.
    »Mich töten?«, fragte der Mann und zog eine Augenbraue hoch. »Bilden Sie sich ein, das schaffen Sie?«
    »Ja«, sagte Louis, »und zwar so.« Er beugte sich zu ihm vor und bohrte ihm seine Zähne in den speckigen, unrasierten Hals. Ich sah die Augen des Mannes eine Sekunde lang aufleuchten, während er über Louis’ Schulter blickte, dann wurden sie starr und ganz langsam stumpf. Sein plumper, klobiger Körper sank gegen Louis, ein Beben fuhr durch die Hand mit den dicken Fingern, ehe sie schlaff neben die Bierflasche fiel.
    Eine ganze Weile verging. Dann zog Louis sich zurück und lagerte Kopf und Schultern seines Opfers auf dem Tisch. Liebevoll tätschelte er das dichte, angegraute Haar des Mannes. Wieder auf der Straße, sog Louis tief die kühle Nachtluft ein. Sein Gesicht war vom Blut seines Opfers gerötet und zeigte die frische Farbe eines lebenden Menschen. Er lächelte, traurig und bitter, während er den

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