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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufgeregter Stimme - viel aufgeregter, als ich mir je vorgestellt hätte breitete ich die Geschichte vor ihm aus. Ich erzählte ihm alles von meiner Liebe zu Merrick, von ihren übersinnlichen Kräften, von Louis’ Bitte. Ich erzählte ihm von dem Phantom, das uns erschienen war. Ich erzählte von Louis, wie er Claudias Musik lauschte. Ich erzählte ihm von Louis’ Entschluss, in einigen Nächten von uns zu gehen.
    »Was ihn jetzt noch davon abhalten kann, weiß ich nicht«, sagte ich. »Er will nicht warten, bis du aufwachst, mein liebster Freund. Er ist schon so gut wie fort. Und ich weiß wirklich nicht, was ich tun kann, damit er seine Meinung ändert. Ich kann ihn anflehen, dass er warten muss, bis du dich erholt hast, aber ich glaube, er will nicht riskieren, abermals den Mut zu verlieren. Darum geht es nämlich, um seinen Mut. Er hat jetzt den Mut, ein Ende zu ma chen. Und daran mangelte es ihm bisher immer.« Ich erläuterte noch einmal die einzelnen Punkte. Ich beschrieb, wie Louis der Musik lauschte, die für mich unhörbar blieb. Ich beschrieb die Séance noch einmal. Ich hoffte, diesmal all das zu erwähnen, was ich zuvor vergessen hatte. »War es wirklich Claudia?«, fragte ich. »Wer kann uns das schon sagen?« Und dann beugte ich mich zu Lestat nieder und küsste ihn und sagte: »Ich brauche dich gerade jetzt so sehr! Ich brauche dich, und wäre es nur, um ihm Lebewohl zu sagen.« Ich richtete mich auf und begutachtete den schlummernden Körper. Ich konnte keine Veränderung erkennen, weder an seiner Haltung noch an seinem Bewusstsein.
    »Du bist schon einmal erwacht«, drängte ich. »Das war, als Sybelle für dich Klavier spielte, aber dann hast du dich mit der Musik wieder in deinen egoistischen Schlaf zurückgezogen. Das ist es nämlich, Lestat. Egoistisch! Denn du lässt die allein, die du erzeugt hast - Louis und mich. Du hast uns im Stich gelassen, und das ist nicht fair. Du musst aus diesem Schlaf erwachen, geliebter Meister. Du musst dich aufraffen - für Louis und für mich.« Keine Veränderung zeigte sich auf seinem ebenmäßig glatten Gesicht. Tot konnte er nicht sein, dazu waren seine großen violetten Augen zu weit geöffnet. Aber sein Körper wies kein einziges Le benszeichen auf. Ich beugte mich nieder. Ich presste mein Ohr an seine kalte Wange. Wenn ich als sein Zögling auch nicht seine Gedanken lesen konnte, so konnte ich doch sicherlich herausfinden, was in seiner Seele vor sich ging. Aber ich empfing nichts. Ich stellte die Musik wieder an. Ich küsste ihn und begab mich in mein Versteck, willig wie wohl nie zuvor, mich dem Vergessen zu überlassen.

22
    In der folgenden Nacht machte ich mich auf die Suche nach Merrick.
    Ihr Haus in dem verfallenen Viertel war dunkel und leer. Nur der Hausmeister war da. Mir fiel es nicht schwer, an das Fenster der Wohnung über dem Schuppen zu gelangen, wo ich sah, dass der alte Bursche zufrieden vor seinem riesigen Farbfernseher saß und sein Bier trank.
    Ich war ziemlich außer Fassung. Ich fand, dass Merrick mir so gut wie versprochen hatte, mich zu treffen, und wo sollte das sein, wenn nicht hier in dem alten Haus?
    Ich musste sie finden. Mit Hilfe all meiner telepathischen Kräfte durchsuchte ich rastlos die ganze Stadt nach ihr. Und was Louis anging - der war auch nicht zu finden. Ich kehrte während meiner Suche nach Merrick mehr als viermal in die Stadtwohnung zurück, und nie fand ich Louis vor oder auch nur den winzigsten Beweis, dass er dort gewesen war. Endlich, entgegen besserem Wissen, begab ich mich verzweifelt nach Oak Haven, dem Mutterhaus, um zu sehen, ob ich Merrick dort entdeckte. Ich fand sie schon nach wenigen Minuten. Ich stand in dem dichten Eichenhain am nördlichsten Ende des Gebäudes und sah von dort aus die winzige Gestalt in der Bibliothek.
    Merrick saß in eben jenem ochsenblutroten Ledersessel, den sie damals als Kind für sich beansprucht hatte, als wir uns zum ersten Mal trafen. Sie schien in die alten, rissigen Lederpolster geschmiegt zu schlafen, doch als ich näher kam, versicherten mir meine feinen Vampirsinne, dass sie betrunken war. Ich entdeckte auch die Flasche mit dem Florde-Cana-Rum und das Glas dane ben. Beides war leer. Was andere Mitglieder des Ordens anging, so war einer im selben Raum damit beschäftigt, routinemäßig die Regale durchzusehen, und mehrere andere hielten sich in ihren Zimmern in den oberen Stockwerken auf.
    Begreiflicherweise konnte ich mich ihr dort kaum nähern, und ich hatte

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