Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
andere Gesetzmä ßigkeiten - andere als die physikalischen, irdischen - existieren.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte er. »Du willst mich darauf hinweisen, dass diese Frau Dinge tun kann, die für uns ebenso rätselhaft sind wie für einen Sterblichen.«
»Ja, das ist meine Absicht. Aber hinzu kommt, dass Merrick mehr tun könnte, als uns Rätsel aufzugeben. Wir müssen uns folglich Merrick und dem, was sie tun wird, mit äußerstem Respekt nähern.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Louis. »Aber wenn der Mensch eine Seele hat, die über den Tod hinaus weiterlebt, eine Seele, die sich als Geist manifestieren, sich den Lebenden zeigen kann, dann besitzt er doch ebenfalls eine magische Komponente.«
»Ja, genau, eine überirdische Komponente, und in mir und dir steckt dieser Teil auch noch, zusammen mit einigen zusätzlichen vampirischen Bestandteilen. Aber wenn eine Seele ihren irdischen Körper endgültig verlässt, ist sie im Reich Gottes.«
»Du glaubst an Gott«, murmelte er, recht erstaunt. »Ja, ich denke doch«, antwortete ich. »Eigentlich weiß ich es sogar. Und warum sollte ich es verbergen, als wäre es eine unintellektuelle oder dümmliche Geisteshaltung?«
»Dann hast du wirklich großen Respekt vor Merrick und ihren magischen Kräften«, stellte Louis fest. »Und du glaubst, dass die Große Nananne, wie du sie nennst, ein sehr machtvoller Geist sein könnte.«
»Genau«, sagte ich.
Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, und seine Augen bewegten sich ein wenig zu schnell hin und her. Was ich bisher gesagt hatte, hatte ihn zwar sehr erregt, aber sein Kummer saß so tief, dass ihn nichts glücklich oder fröhlich stimmen konnte.
»Die Große Nananne könnte gefährlich sein«, murmelte er. »Sie könnte Merrick vielleicht schützen wollen … vor dir und mir.« Er sah in seinem Kummer wunderschön aus. Wieder musste ich an die Gemälde von Andrea del Sarto denken. Seiner Schönheit haftete ein weicher, jugendlicher Schmelz an, trotz der scharf geschnittenen, klaren Linien von Mund und Augen. »Ich erwarte nicht, dass mein Glaube irgendetwas an deiner Sicht der Dinge ändert«, sagte ich. »Aber ich möchte noch einmal besonders auf diese Gefühle hinweisen, weil dieser Voodoo-Kult, dieser Umgang mit den Geistern, wirklich etwas Gefährliches ist.«
Er war irritiert, aber kaum geängstigt, vielleicht nicht einmal wachsam geworden. Ich hätte gern mehr gesagt, hätte gern von meinen Erfahrungen in Brasilien gesprochen, aber das war hier weder der richt ige Zeitpunkt noch der richtige Ort. »Aber David, was diese Geister betrifft -«, sagte er schließlich, nach wie vor in respektvollem Ton, »gewiss gibt es doch alle möglichen Arten von Geistern.«
»Ja, ich weiß, was du meinst«, erwiderte ich. »Nun, diese Große Nananne - wenn sie wirklich aus eigenem Willen erschienen ist, woher genau kam sie denn dann?«
»Wie könnten wir das von irgendeinem Geist wissen, Louis?«
»Nun, sicherlich sind einige Geister Manifestationen von erdgebundenen Seelen. Ist das nicht eine feststehende Wahrheit für die, die das Okkulte erforschen?«
»Ja, das stimmt.«
»Wenn diese Geister also die Seelen der Toten sind, die sich nicht von der Erde lösen können, wie können wir dann behaupten, dass sie ganz dem Übernatürlichen zuzuordnen sind? Halten sie sich nicht innerhalb der Erdatmosphäre auf? Kämpfen sie nicht darum, mit den Lebenden Kontakt aufzunehmen? Sind sie nicht von Gott getrennt? Wie sonst sollte man es auslegen, dass Jesse von Claudias Geist heimgesucht wurde? Wenn es Claudia war, dann ist sie nicht in ein rein spirituelles Reich eingegangen. Claudia kann an den Gesetzen des Jenseits nicht teilhaben. Claudia hat keinen Frieden gefunden.«
»Ah, ich verstehe«, antwortete ich, »deshalb willst du also dieses Ritual durchführen.« Ich kam mir ziemlich dumm vor, dass ich das nicht schon früher durchschaut hatte. »Du glaubst, dass Claudia leidet.«
»Ich nehme an, dass das durchaus sein könnte«, sagte er, »wenn Claudias Geist Jesse erschienen ist - und Jesse schien das ja zu glauben.« Er sah ganz elend aus. »Und offen gesagt, eigentlich hoffe ich, dass wir Claudias Geist nicht erwecken können. Ich hoffe, dass Merrick mit ihrer Magie nichts bewirkt. Wenn Claudia denn eine unsterbliche Seele hatte, hoffe ich, dass sie zu Gott eingegangen ist. Ich hoffe auf Dinge, die ich nicht glauben kann.«
»Darum hat dich dieser Bericht über Claudias Geist so gequält! Du willst gar
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