Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
nicht mit ihr sprechen. Du willst wissen, dass sie ihren Frieden hat.«
»Ja, ich will diesen Zauber, weil ihre Seele sich vielleicht quält und keine Ruhe findet. Nur durch die Erzählungen anderer kann ich das nicht erfahren. Mich hat noch nie Spuk heimgesucht, David. Ich sagte es dir ja schon, ich habe diese Cembaloklänge und den Vogelgesang nie gehört. Mir ist bisher noch nichts widerfahren, woraus man schließen kann, dass Claudia irgendwo in irgendeiner Form noch existiert. Deshalb will ich versuchen, mit ihr Verbindung aufzunehmen, damit ich Gewissheit habe.« Dieses Geständnis war ihm schwer gefallen, nun lehnte er sich zurück und schaute fort, vielleicht in einen nur ihm bekannten Winkel seiner Seele.
Endlich, die Augen immer noch auf einen unsichtbaren Punkt im Dunkel geheftet, sprach er weiter: »Wenn ich sie gesehen hätte, könnte ich ja vielleicht eine Vermutung wagen, und wäre sie noch so dürftig. Ich sage mir ständig, kein rastloser Geist könnte mich mit seinen Tricks dazu bringen, dass ich ihn für Claudia halte, aber nicht einmal ein rastloser Geist ist mir bisher erschienen. Ich habe überhaupt noch keine übernatürliche Erscheinung gehabt. Ich habe nur Jesses Bericht über das Geschehene, und selbst den suchte sie wegen meiner Gefühle in der Sache abzuschwächen. Und dann sind da natürlich Lestats Faseleien, dass Claudia ihn heimsuchte, dass er förmlich von seinen früheren Erlebnissen verschlungen wurde, als er sein Abenteuer mit dem Körperdieb durchlitt.«
»Ja, ich habe so etwas von ihm gehört.«
»Aber bei Lestat weiß man nie so genau …«, sagte er. »Lestat könnte auch nur auf dem Wege symbolisch seine Gewissensbisse dargelegt haben. Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: dass ich den verzweifelten Wunsch habe, Merrick Mayfair möge Claudias Geist hervorrufen. Und ich bin auf alle Möglichkeiten vorbereitet.«
»Das glaubst du«, sagte ich schnell, vielleicht nicht ganz fair. »Oh, ich weiß schon. Dieser Zauberbann heute Nacht hat dich verunsichert.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr«, sagte ich. »Gut, ich gebe zu, ich kann es mir nicht vorstellen. Aber sag mir eins: Du sprichst von einem Reich jenseits des Irdischen und dass Merrick Magie einsetzt, wenn sie danach greift. Aber wieso spielt Blut dabei eine Rolle? Denn bei ihren Beschwörungen wird doch bestimmt Blut benötigt.« Er fuhr ein wenig zornig fort: »Bei Voodoo ist so gut wie immer Blut im Spiel. Du sprichst vom heiligen Messopfer als etwas Magischem, und ich verstehe, was du meinst, denn wenn Brot und Wein in Fleisch und Blut des gekreuzigten Christus umgewandelt werden, dann ist das etwas Übernatürliches, ist das Magie; aber warum gehört Blut dazu? Wir sind irdische Geschöpfe, das ja, doch ein Teil von uns gehört dem spirituellen Reich an. Aber warum verlangt dieser Teil von uns nach Blut?«
Als er zum Ende kam, hatte er sich richtig in Hitze geredet, und der Blick, mit dem er mich ansah, war fast finster, wenn ich auch wusste, dass seine Gefühlsregung wenig mit mir zu tun hatte. »Was ich sagen will, ist, dass wir in alle Ewigkeit Rituale aus aller Welt miteinander vergleichen könnten, ob im Zusammenhang mit Religion oder mit unterschiedlichen Formen der Zauberei immer spielt Blut dabei eine Rolle. Warum? Natürlich weiß ich, dass menschliche Wesen ohne Blut nicht leben können; ich weiß, ›Blut ist Leben‹, so spricht Dracula; ich weiß, dass die Menschheit, laut oder verstohlen, von blutgetränkten Altären spricht; es heißt ›Blutvergießen‹ und ›Blutsverwandtschaft‹ und ›edles Blut‹ und dass ›Blut nach Blut verlangt‹. Aber warum? Was ist das unentbehrliche Glied, das diese Weisheit oder diesen Aberglauben zusammenhält? Und vor allem: Warum verlangt Gott nach Blut?« Ich war verdutzt. Bestimmt würde ich mich jetzt nicht aufs Geratewohl in eine Antwort stürzen. Und davon abgesehen hatte ich auch keine. Seine Fragen waren zu tief schürfend. Blut war na türlich für den Candomble-Zauber unentbehrlich, wie auch beim Voodoo-Kult.
Er fuhr fort. »Ich spreche nicht speziell von deinem Gott«, sagte er sanft, »aber der Gott des heiligen Messopfers hat Blut verlangt, und wirklich ist ja die Kreuzigung eines der berühmtesten Blutopfer der Geschichte. Aber was ist mit all den anderen Göttern, denen des antiken Rom, für die in der Arena und auf Altären Blut vergossen werden musste? Für die Götter der Azteken war Blut der Preis dafür, dass die Welt sich
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