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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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meine Wünsche gewaltig. Aber so geht es eben manchmal, Mr. Talbot. Wenn man les mysíères beschwört, weiß man nicht immer, was dabei herauskommt.«
    »Ja«, bestätigte ich ihr. »Ich weiß. Erinnerst du dich an alles, was geschah?«
    »Ja«, sagte sie, »und nein. Ich kann mich daran erinnern, dass Sie mich schüttelten und dass ich wusste, was damals passiert war, aber ich kann mich nicht an die gesamte Zeit erinnern, während der sie mich besessen hat.«
    »Ich verstehe«, sagte ich dankbar. »Wie fühlst du dich jetzt, Merrick?«
    »Ich habe ein wenig Angst vor mir selbst«, antwortete sie. »Und es tut mir Leid, dass sie Ihnen wehgetan hat.«
    »Oh, Schätzchen, um Himmels willen, mach dir um mich keine Gedanken«, gab ich zurück. »Ich sorge mich nur um dich.«
    »Das weiß ich, Mr. Talbot, aber wenn Ihnen das ein Trost ist: Joshua ist in die himmlische Herrlichkeit eingegangen. Als er in den Bergen abstürzte, fühlte er keinen Hass auf Sie. Honey hat sich das nur ausgedacht.«
    Ich war perplex. Ich spürte Marys plötzliche Verlegenheit. Und ich sah Aarons Erstaunen.
    »Ich weiß es genau«, sagte Merrick. »Joshua ist im Himmel. Honey hat all die Dinge, die sie sagte, einfach aus Ihren Gedanken abge lesen.«
    Ich konnte ihr nicht antworten. Auf die Gefahr, dass mir von der argusäugigen Mary noch mehr Misstrauen und Missbilligung entgegenschlugen, beugte ich mich vor und küsste Merrick auf die Wange.
    »Der Albtraum ist vorbei«, sagte sie. »Ich bin von ihnen befreit. Ich bin frei für einen neuen Anfang.« Und so begann unser langer Weg mit Merrick.

10
    Es war mir nicht leicht gefallen, Louis diese Geschichte zu erzählen, und sie war ja noch nicht zu Ende. Es gab noch viel mehr zu sagen.
    Aber als ich nun eine Pause machte, war mir, als wäre ich hier, in diesem Salon, neben dem aufmerksamen Louis aus einem Traum erwacht, und gleich fühlte ich mich getröstet, aber auch schuldbeladen. Ich streckte kurz meine Glieder und spürte die vampirische Kraft in meinen Adern.
    Im tröstlichen Schein der glasbeschirmten Lampen saßen wir beieinander wie zwei ganz normale Menschen. Seit ich mit meiner Geschichte begonnen hatte, schaute ich nun zum ersten Mal die Bilder an den Wänden ringsum an. Es waren alles farblich ausdrucksstarke Kostbarkeiten des Impressionismus, die Louis einst zusammengetragen und in einem kleinen Haus am Stadtrand, in dem er damals lebte, untergebracht hatte. Aber Lestat hatte es niedergebrannt, und in einer Geste der Versöhnung hatte er Louis später gebeten, hier bei ihm zu wohnen. Da war ein Bild von Monet - eines, dem ich schon lange keinen Blick mehr geschenkt hatte, weil ich so daran gewöhnt war -, auf diesem Gemälde voller Sonnenlicht und Grün saß eine Frau mit ihrer Handarbeit am Fenster unter den grazilen Zweigen hoher Zimmerpflanzen. Wie so viele impressionistische Malereien sprach es durch den klar hervortretenden Pinselstrich in hohem Maße den Verstand an und strahlte gleichzeitig eine Atmosphäre schlichtester Häus lichkeit aus. Der Anblick dieser tapferen Verherrlichung des Alltäglichen wirkte lindernd auf meine schmerzende Seele.
    Wie gerne hätte ich hier in der Rue Royale unsere Häuslichkeit ausgekostet. Ich wünschte mir das Gefühl, moralisch auf sicherem Grund zu stehen, was natürlich nie wieder möglich war. Dieser Rückblick auf die alten Zeiten hatte mich zuinnerst erschöpft - auf Zeiten, in denen ich ein lebendiger Mensch gewesen war, Zeiten, in denen ich die feuchte Tageshitze in New Orleans als selbstverständlich betrachtet hatte, Zeiten, in denen ich Merrick ein getreuer Freund gewesen war - denn ihr war ich ein Freund gewesen, was immer mir Honey in the Sunshine wegen eines Jüngling namens Joshua vorgeworfen hatte, der vor vielen, vielen Jahren lebte.
    Bezüglich dieser Sache habe ich nie eine Frage von Aaron und Mary gehört. Aber ich wusste, dass sie beide mich nie wieder im gleichen Licht sehen würden wie zuvor. Joshua war für diese Be ziehung zu jung gewesen und ich zu alt. Und ich hatte mein Vergehen - ein paar kostbare Liebesnächte - erst den Ältesten gebeichtet, nachdem Joshua schon lange tot war. Sie hatten mich getadelt und mir auferlegt, etwas dergleichen nie wieder vorkommen zu lassen. Als ich dann zum Generaloberst ernannt worden war, hatten die Ältesten von mir eine Versicherung gefordert, dass derartige moralische Fehltritte weit hinter mir lagen, und ich hatte sie abgegeben, zutiefst gedemütigt, weil das Ganze noch einmal

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