Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
erwähnt worden war.
Für Joshuas Tod allerdings habe ich mir die Schuld zugeschrie ben. Er hatte mich gebeten, die Klettertour zu einem Schrein im Himalaja, die an sich nicht als extrem gefährlich galt, mitmachen zu dürfen, da das zu seinen Studien über tibetische Volkssagen gehörte. Auch andere Ordensmitglieder hatten teilgeno mmen, und sie kamen gesund zurück. Joshuas Absturz war, wenn ich es recht verstanden hatte, durch eine kleine Lawine verursacht worden, und man konnte seinen Leichnam mehrere Monate nicht bergen.
Als ich nun wegen Louis dies alles noch einmal rückblickend betrachtete und darüber nachgrübelte, dass ich mich Merrick, die nun eine Frau war, in meiner dunklen, ewig währenden Vampirgestalt genähert hatte, fühlte ich heftigste Gewissensbisse. Das war etwas, für das ich niemals Absolution erlangen könnte. Und es war etwas, das mich nicht davon abhalten konnte, Merrick wiederzusehen.
Es war geschehen. Ich hatte Merrick gebeten, Claudias Geist für uns zu beschwören. Und ich hatte Louis noch eine Menge mehr zu erzählen, ehe ich die beiden zusammenführen konnte, und noch eine Menge mehr mit mir selbst zu klären. Die ganze Zeit über hatte Louis mir ohne ein Wort gelauscht. Einen gekrümmten Finger an die Lippen gelegt, den Ellbogen auf die Armlehne der Couch gestützt, hatte er mich unverwandt beobachtet, während ich meine Erinnerungen wiedergab, und nun wartete er eifrig darauf, dass es weiterging. »Ich wusste, dass diese Frau unglaubliche Macht hat«, sagte er sanft. »Ich wusste jedoch nicht, wie sehr du sie liebst.« Ich bewunderte seine Sprechweise, den schmelzenden Klang seiner Stimme und die Art, wie seine Worte kaum die Luft in Schwingungen zu versetzen schienen.
»Ah, nun, ich wusste es selbst nicht«, antwortete ich. »So viele bei uns in der Talamasca waren liebend miteinander verbunden, und jeder Fall ist ein besonderer.«
»Aber diese Frau, du liebst sie wirklich«, sagte er eindringlich. »Und nun habe ich dich gebeten, konträr zu deinen Gefühlen zu handeln.«
»Oh, nein«, gestand ich. Ich zögerte. »Es war unvermeidlich, mit der Talamasca Kontakt aufzunehmen«, versicherte ich, »aber an die Ältesten hätte ich mich wenden müssen, in schriftlicher Form; nicht so, wie ich vorgegangen bin.«
»Verurteile dich doch nicht so heftig, weil du Verbindung mit ihr aufgenommen hast«, sagte er mit ungewohnter Selbstsicherheit. Er wirkte ernst und ewig jung, wie stets.
»Und warum nicht?«, fragte ich. »Ich dachte, du wärest der Spezialist für Schuldgefühle?« Darüber lachte er höflich, und dann schmunzelte er still in sich hinein. Er schüttelte den Kopf. »Haben wir nicht auch ein Herz?«, antwortete er. Er rückte sich in den Polstern der Couch zurecht. »Du sagst mir, dass du an Gott glaubst. Das ist mehr, als ich von den andern je gehört habe. Ganz ehrlich. Was, denkst du denn, hat Gott für uns geplant?«
»Ich wüsste nicht, dass Gott überha upt Pläne macht«, sagte ich leicht verbittert. »Ich weiß nur, dass es ihn gibt.« Ich dachte darüber nach, wie sehr ich Louis liebte, liebte seit dem Tag, an dem ich Lestats Zögling geworden war. Ich dachte darüber nach, wie sehr ich mich auf ihn verließ und was ich alles für ihn tun würde. Die Liebe zu Louis war es, die Lestat zeitweise gelähmt und Armand versklavt hatte. Louis war sich wahrscheinlich seiner Schönheit, seines offensichtlichen natürlichen Charmes gar nicht bewusst.
»David, du musst mir verzeihen«, sagte er unvermittelt. »Ich bin so sehr darauf fixiert, diese Frau treffen zu wollen, dass ich dich in meinem Egoismus bedränge; aber ich meine es, wenn ich sage, dass wir ein Herz haben - in jedem Sinn des Wortes.«
»Natürlich hast du eins«, entge gnete ich. Und dann, flüsternd: »Ich frage mich, ob Engel ein Herz haben. Ah, aber das hat nichts zu sagen, oder? Wir sind, was wir sind.«
Er antwortete nicht, aber ich sah, dass sich seine Miene kurz verdüsterte, und dann blickte er träumerisch vor sich hin, mit dem für ihn so typischen Ausdruck von Neugier und stiller Anmut.
»Aber wenn es um Merrick geht«, sagte ich, »dann muss ich mir eingestehen, dass ich aus einem verzweifelten Bedürfnis heraus mit ihr Kontakt aufgenommen habe. Ohne das hätte ich nicht mehr lange durchgehalten. Wenn ich in New Orleans bin, denke ich Nacht für Nacht an Merrick. Sie spukt in meinem Kopf, als wäre sie selbst ein Geist.«
»Erzähl mir den Rest der Geschichte«, bohrte Louis. »Und wenn
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