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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Nie zuvor hatte ich eine solche Seuche erlebt, wie sie in dieser so glanzvollen Stadt wütete. Mein Geist war vor Gram ganz benommen und doch zugleich stimuliert von der Schönheit der Paläste und den Wundern der Markuskirche, die ein vorzüglicher Beweis für die Verbindung der Stadt mit Byzanz war, wohin sie auch ihre vielen Handelsschiffe aussandte.
    Es war sicherlich nicht statthaft, beim Licht der Fackeln nie zuvor gesehene Gemälde oder Statuen zu bewundern. Ich musste fort von hier, aus Respekt vor den Sterbenden, ungeachtet dessen, dass ich ein Unsterblicher, ein Bluttrinker war. Und so nahm ich die Route südwärts, zu einer weiteren Stadt, in der ich nie zuvor gewesen war – Florenz, im Herzen der Toskana, einem schönen, fruchtbaren Landstrich.
    Verstehe mich, ich mied Rom damals bewusst. Ich konnte es nicht ertragen, meine Heimat wieder in seinem Elend zu sehen. Ich konnte es nicht ertragen, Rom unter der Geißel der Pest zu sehen. Also wählte ich Florenz – wohlhabend, wenn auch vielleicht nicht so reich wie Venedig, auch nicht so schön, aber mit vielen großen Palästen und gepflasterten Straßen.
    Und was fand ich vor? Ebenfalls die schreckliche Pestilenz! Gemeine Schinder erpressten Gelder für das Fortkarren der Leichen, häufig prügelten sie die Sterbenden oder deren Pfleger. Oft lagen sechs oder acht Leichname vor den Türen der Häuser. Im Schein der Fackeln kamen und gingen die Priester, die das Sterbesakrament spendeten. Und wie in Venedig lag auch hier über allem der gleiche Gestank, der vom endgültigen Ende kündete. Erschöpft und elend begab ich mich in eine der Kirchen nahe der Stadtmitte – ich weiß nicht, in welche –, wo ich mich an die Wand lehnte und im Kerzenlicht das Tabernakel betrachtete; ich fragte mich, was sich auch so viele der ins Gebet vertieften Sterblichen fragten: Was würde aus dieser Welt werden? Ich hatte gesehen, wie Christen verfolgt wurden, wie Barbaren Städte plünderten, wie Ost und West im Kampf miteinander lagen, bis es schließlich zum Bruch kam; ich hatte gesehen, wie der Islam Soldaten in seinen heiligen Krieg gegen die Ungläubigen schickte, und nun sah ich diese Seuche, die die ganze Welt befallen hatte.
    Und was für eine Welt; denn sie hatte sich verändert, seit ich damals Konstantinopel den Rücken gekehrt hatte. Wie Blumen waren die Städte Europas erblüht, reich und üppig. Die Horden der Barbaren hatten sich fest angesiedelt. Byzanz hielt immer noch die Städte im Osten zusammen. Und nun diese furchtbare Geißel – die Pest. Warum war ich am Leben geblieben? Warum musste ich weiterleben, nur um Zeuge dieser tragischen Entwicklung zu werden? Was sollte ich von dem Geschauten halten? Und dennoch, selbst in meinem Kummer fand ich die Kirche hier mit ihren unzähligen brennenden Kerzen schön, und als ich weiter vorn in einer der Seitenkapellen rechts vom Hochaltar einen Farbfleck erspähte, ging ich darauf zu, in der Gewissheit, farbenprächtige Gemälde dort zu finden.
    Keiner der andächtigen Beter nahm Notiz von mir, der einsamen Gestalt in dem rotsamtenen Kapuzenumhang, die leise und flink in die Kapelle huschte, um die Malereien zu betrachten. Ach, wenn doch die Kerzen heller gebrannt hätten. Wenn ich doch gewagt hätte, eine Fackel zu entzünden. Aber waren meine Augen nicht die eines Bluttrinkers? Warum also jammern? Und in dieser Kapelle erblickte ich Darstellungen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ja, es waren Gestalten aus der Bibel, ja, sie waren ernst, und, ja, sie waren fromm, aber da war ein neuer Funke entflammt, etwas, das man fast schon als überhöht bezeichnen konnte. Wie in einem Schmelzofen waren hier verschiedene Elemente vermischt worden, und ich empfand trotz meines Kummers tiefe Freude, bis ich hinter mir eine Stimme vernahm, die Stimme eines Sterblichen. Er sprach so leise, ich glaube kaum, dass ein anderer Sterblicher es überhaupt gehört hätte.
    »Er ist tot«, sagte der Sterbliche. »Sie sind alle tot, die Maler, die dies hier vollbracht haben.« Ich schrak zusammen.
    »Die Pest hat sie geholt«, sagte der Mann.
    Er war ebenso von einer Kapuze verhüllt wie ich, nur sein Umhang war dunkel, und er sah mich mit glänzenden, fiebrigen Augen an.
    »Habt keine Angst«, fuhr er fort, »ich litt an ihr, und sie hat mich nicht umgebracht. Ich kann niemanden anstecken, versteht Ihr? Aber sie sind alle tot, diese Maler. Dahin! Die Pest hat sie geholt samt ihrem Talent.«
    »Und Ihr?«, fragte ich. »Seid Ihr

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