Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
eines anderen römischen Gebäudes, einst glanzvoll, nun nur noch eine Ruine, ragten stolz und aufrecht empor, mit einer bedrohlichen Burg im Hintergrund.
    Ah, welch komplexes Zusammenspiel, welch irrationale Kombination, wie seltsam das Ganze, und dabei war jedes menschliche Antlitz auf diesen Bildern so unwiderstehlich, jede einzelne Hand so exquisit dargestellt. Beim bloßen Betrachten der Gesichter, der Hände dachte ich, ich würde wahnsinnig.
    Zu gerne hätte ich mir Nacht um Nacht dieses Gemälde eingeprägt. Ich hätte am liebsten an den Türen der Gelehrten gelauscht, um von ihnen zu erfahren, worum es auf den Gemälden ging, denn ich selbst konnte es einfach nicht entschlüsseln. Mir fehlte das Wissen. Und mehr als alles sonst sprach seine pure Schönheit meine Seele an.
    All die trüben Jahre waren vergessen, als ob eine Million Kerzen in dieser Kapelle angezündet worden wären.
    »Ach, Pandora«, flüsterte ich, »könntest du dies doch sehen! Ach, Pandora, wüsstest du doch nur davon!«
    In der unfertigen Kapelle gab es noch andere Gemälde, denen ich aber nur einen Blick im Vorübergehen widmete, bis dann meine Augen auf zwei weitere Bilder von demselben Meister fielen, ebenso zauberhaft wie die ersten. Auch hier wieder eine Vielzahl von Personen, alle mit den gleichen engelhaften Gesichtern, die Gewänder mit plastischer Tiefe gemalt. Und obwohl ich auf diesen hervorragenden Fresken Christus mit seinen schwingenbewehrten Engeln erkannte, so wusste ich doch genau wie bei den vorherigen nicht, wie ich sie deuten sollte.
    Aber es spielte im Endeffekt keine Rolle, was die Bilder aussagten. Ich war ganz davon erfüllt. Und auf einem waren zwei Jungfrauen dargestellt, die so züchtig und gleichzeitig so sinnlich gemalt waren, dass ich nur staunen konnte.
    Die bisherige kirchliche Kunst hätte so etwas nie zugelassen. Die Kirche hatte immerhin alles Fleischliche aus ihren Gemäuern verbannt. Und doch waren hier in der päpstlichen Kirche Abbildungen edler Jungfrauen, die eine wandte dem Betrachter den Rücken zu, die andere schaute ihn mit träumerischem Ausdruck in den Augen an.
    »Pandora«, flüsterte ich, »hier habe ich dich gefunden, dein jugendliches Abbild und deine unsterbliche Schönheit. Hier bist du, Pandora, auf dieser Wand.«
    Ich wandte mich von den Fresken ab, schritt aufgeregt hin und her, ging wieder zurück, studierte sie gründlich; vorsichtig, um sie nicht zu berühren, hob ich dazu die Hände, bewegte sie dicht über der Oberfläche der Bilder, als müsse ich sie nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Händen sehen.
    Ich musste erfahren, wer dieser Maler war! Ich musste sein ganzes Werk sehen! Ich hatte mich in ihn verliebt. Ich musste einfach alles sehen, was er gemalt hatte. War er jung? Alt? Lebte er überhaupt noch, oder war er tot? Ich musste es wissen! Ich verließ die Kapelle, ohne zu ahnen, wen ich wegen dieser wunderbaren Werke fragen könnte, denn den Papst konnte ich ja wohl kaum deswegen aus seinem Schlaf reißen. In einer finsteren Gasse auf einer Hügelkuppe fand ich einen Übeltäter, einen Trunkenbold, der sich, den Dolch in der Hand, mordlustig auf mich stürzte. Ich packte ihn und trank sein Blut mit einer Begeisterung, wie ich sie seit Jahren nicht verspürt hatte.
    Unglückliches Opfer. Ich frage mich, ob ich ihm im Augenblick des Trinkens einen flüchtigen Eindruck von jenen Gemälden übermittelte. Ich erinnere mich dieses Augenblicks so genau, weil ich am Kopf einer engen Treppe stand, die den Hügel hinab zur darunter liegenden Piazza führte, und während das Blut mich wärmend durchströmte, dachte ich an nichts als diese Malereien und hatte nur einen Wunsch: zurück zu der Kapelle zu gehen.
    Doch da störte mich etwas auf. Ich vernahm eindeutige Geräusche in meiner Nähe, die Schritte eines Bluttrinkers, tölpelhaft laut, wie nur ein noch sehr junger ging. Hundert Jahre alt? Mehr nicht, schätzte ich. Das Wesen wollte, dass ich es bemerkte. Ich wandte mich um und sah eine große, gut gebaute dunkelhaarige Gestalt in der schwarzen Kutte eines Mönches. Sein Gesicht war weiß, und er machte keine Anstalten, es zu verbergen. Um seinen Hals hing kopfüber ein golden glänzendes Kruzifix.
    »Marius!«, flüsterte er.
    »Zur Hölle mit dir!«, war meine Antwort. Ihr Götter, wie konnte er meinen Namen wissen? »Wer du auch bist, verschwinde! Lass mich in Ruhe! Ich warne dich. Verzieh dich aus meiner Gegenwart, wenn dir an deinem Leben liegt.«
    »Marius!«,

Weitere Kostenlose Bücher