Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
grünen Gartens tanzten drei jugendliche Schönheiten, die Grazien, in wehende, durchsichtige Schleier gehüllt, während auf der anderen Seite die Göttin Flora heranschritt, in ein wunderbares Gewand gekleidet, von dem Blüten auf ihren Weg rieselten. Den Mittelpunkt bildete auch hier die Venus in der Tracht einer reichen florentinischen Dame; sie hielt die Hand wie zum Willkommensgruß erhoben und den Kopf leicht zur Seite geneigt.
In der hinteren linken Ecke war der Gott Merkur zu sehen, und ein paar andere Mythengestalten vervollständigten diese Gruppe, von der ich so verzaubert war, dass ich stundenlang vor dem Meisterwerk stand und mir jedes winzige Detail einprägte; mal lächelte ich, dann weinte ich wieder, strich mir durchs Gesicht oder bedeckte die Augen, nur um sie wieder zu öffnen und die lebhaften Farben, die graziösen Gesten, die anmutige Haltung dieser Geschöpfe in mich aufzunehmen – das Ganze erinnerte mich so sehr an die vergangene Herrlichkeit Roms und war doch so völlig neu und anders, dass ich dachte, die Liebe zu diesem Bild würde mich tatsächlich in den Wahnsinn treiben. Jeder, aber auch jeder Garten, den ich je gemalt oder mir vorgestellt hatte, wurde durch dieses Gemälde ausgelöscht. Wie könnte ich selbst in meinen Träumen je ein solches Werk übertreffen?
Wie köstlich, hier vor Glück zu sterben, nachdem ich so lange elend und einsam war. Wie köstlich, diesen Triumph von Form und Farbe zu sehen, nachdem ich mich unter bitteren Opfern mit so vielen Kunstformen beschäftigt hatte, die mir alle unverständlich blieben.
Die Verzweiflung ist von mir gewichen. Nur Freude, anhaltende, endlose Freude fühle ich. Ist das möglich?
Nur zögernd verließ ich dieses Bild des frühlingshaften Gartens. Nur zögernd ließ ich seinen saftiggrünen, blumenübersäten Rasen mit den sich neigenden Orangenbäumen hinter mir zurück. Nur zögernd rührte ich mich vom Fleck, um möglichst weitere Werke Botticellis zu finden.
Ich hätte endlos viele Nächte durch Florenz stolpern können, berauscht von dem, was dieses eine Bild mir bot. Aber es gab noch mehr, viel mehr für mich zu sehen.
Aber höre: Wie ich da in Kirchen huschte, um mehr Werke des Meisters zu sehen, auch in einen Palast schlich, um ein weiteres berühmtes Bild zu sehen – der unwiderstehliche Gott Mars, der wehrlos schlafend im Grase liegt, und Venus wachsam und geduldig neben ihm –, und dann dort stand, die Hände gegen die Lippen gepresst, um nicht wie ein Verrückter aufzuschreien, so suchte ich jedoch die ganze Zeit über die Werksatt des genialen Meisters nicht wieder auf. Ich hielt mich im Zaum. Du darfst dich nicht in sein Leben einmischen, sagte ich mir. Du darfst ihm nicht Gold bringen und ihn von seiner Malerei abhalten. Sein Geschick ist das eines Sterblichen. Schon jetzt ist er stadtbekannt. Auch in Rom kennt man ihn. Seine Bilder werden fortbestehen. Er ist keiner, den man vor der Gosse bewahren muss. Ganz Florenz spricht von ihm. Selbst im Papstpalast in Rom ist er das Gesprächsthema. Lass ihn in Ruhe. Also blieb ich seiner Werkstatt fern, obwohl ich mich danach verzehrte, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, ihm einfach nur zu sagen, dass sein herrliches Bild mit den Drei Grazien und den anderen Göttern in dem Frühlingsgarten genauso überwältigend wie seine anderen Werke war.
Ich hätte ihn dafür bezahlt, nur in seiner Werksatt sitzen und ihm beim Malen zusehen zu dürfen. Aber das wäre ein Fehler gewesen – das Ganze überhaupt war ein Fehler! Ich ging zurück in die Kirche San Paolino und stand dort lange, lange Zeit in die Betrachtung der Pieta vertieft. Dieses Bild war förmlicher als seine »heidnischen« Gemälde. Nur selten hatte er ein ähnlich strenges Werk gemalt. Und das Bild war sehr dunkel gehalten, von den tiefschwarzen Gewändern bis hin zu den verschatteten Tiefen des offenen Grabes. Aber selbst in dieser Strenge lag eine Zartheit, etwas Liebliches. Und die Häupter der Maria und des Christus, so dicht aneinander geschmiegt, übten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus, sodass ich den Blick nicht abwenden konnte. Ah, Botticelli. Wie kann man sein Talent erklären? Seine Figuren waren zwar immer perfekt, aber alle waren kaum merklich in die Länge gezogen, das traf selbst auf die Gesichter zu, deren Ausdruck stets etwas verträumt wirkte, ein ganz klein wenig melancholisch – es ist so schwer auszudrücken. Die Menschen in seinen Bildern schienen wie in einem gemeinsamen
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