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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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erklärte ich. »Ich sehe es so – Eure Göttinnen und Götter erstrahlen in Herrlichkeit. Eure Fresken in Rom, die Christusbilder, sind von Schönheit und Licht erfüllt. Warum taucht Ihr in die Finsternis, wie hier auf diesem Bild?«
    Ich zog die Börse hervor und legte sie auf den Tisch. Ich würde jetzt gehen, und er würde nie erfahren, wie nahe ihm das wahre Böse gewesen war. Er könnte sich nicht einmal im Traum vorstellen, was ich war und was ich – vielleicht, vielleicht – beinahe getan hätte.
    Er kam zu mir, nahm die Börse auf und wollte sie mir zurückgeben.
    »Nein, behaltet sie«, sagte ich. »Sie steht Euch zu. Tut, was Ihr für richtig haltet.«
    »Marius, ich muss tun, was richtig ist«, sagte er schlicht. »Ich will Euch noch etwas zeigen, schaut her.« Er führte mich fort von den großen Werken in eine Ecke der Werkstatt an einen Tisch, auf dem einige Pergamentbögen ausgebreitet lagen. Sie waren mit kleinen Zeichnungen bedeckt.
    »Dies sind Illustrationen zu Dantes Inferno«, erklärte er mir. »Ihr habt es doch bestimmt gelesen. Ich möchte das ganze Buch in Bildern darstellen.«
    Mein Herz wurde schwer, als ich das hörte, aber was konnte ich sagen? Ich sah auf die Zeichnungen nieder, auf die verkrümmten, leidenden Körper! Wie konnte ein Maler, der mit so wundersamer Kunstfertigkeit die Venus und die Heilige Jungfrau gemalt hatte, ein solches Vorhaben rechtfertigen?
    Dantes Inferno. Das Werk hatte bei mir nur Ablehnung erzeugt, bei aller Anerkennung, die ich der brillanten Arbeit zollte.
    »Sandro, wie könnt Ihr nur?«, fragte ich. Ich zitterte. Ich musste vermeiden, dass er jetzt mein Gesicht sah. Ich sagte: »Ich finde Glanz und Herrlichkeit in den Bildern, die vom Licht des Paradieses überglänzt sind, seien es nun christliche oder heidnische Motive. Aber ich kann mich nicht daran ergötzen, dass Menschen in der Hölle schmoren.«
    Er war sichtlich durcheinander, und vielleicht würde sich das nie ändern. Es war sein Schicksal. Ich war nur eine kurze Begegnung darin und hatte möglicherweise ein Feuer geschürt, das schon zu schwach war, um fürderhin zu brennen.
    Ich musste fort. Ich musste ihn nun für immer verlassen. Ich wusste es. Ich durfte dieses Haus nicht noch einmal betreten. Ich konnte mir selbst nicht trauen, wenn es um ihn ging. Ich musste Florenz verlassen, oder meine Entschlossenheit würde bröckeln.
    »Ich werde Euch nicht Wiedersehen, Sandro«, sagte ich.
    »Aber warum denn?«, fragte er. »Ich habe mich auf ein Wiedersehen gefreut. Oh, und nicht etwa wegen des Geldes, glaubt mir.«
    »Ich weiß, aber ich muss fort. Denkt daran, ich glaube an Eure Götter und Göttinnen. Immerdar.«
    Ich verließ sein Haus, ging jedoch nur bis zur Kirche. So überwältigt war ich von dem Verlangen nach ihm, danach, ihn in meine Welt hinüberzubringen, ihn mit all den dunklen Geheimnissen Des Blutes zu segnen, dass ich fast nicht zu Atem kam und die Straße vor mir kaum erkennen konnte oder die Luft in meinen Lungen spürte.
    Ich wollte ihn. Ich wollte sein Talent. Ich träumte Träume von uns beiden – Sandro und ich –, gemeinsam in einem großen Palazzo, und daraus würden Bilder hervorgehen, berührt von der Magie Des Blutes.
    Das Blut würde seine Berechtigung erhalten. Immerhin, dachte ich, er zerstört gerade sein Talent, indem er sich dem Dunkel zuwendet, oder? Wie kann man sich erklären, dass er sich nach seinen Göttinnen einer Dichtung zuwendet, die Inferno heißt? Könnte ich ihn nicht durch Das Blut zu seinen himmlischen Visionen zurückführen?
    Aber das durfte nicht geschehen. Das hatte ich schon gewusst, ehe ich sein grausames Bild von der Kreuzigung gesehen hatte. Hatte es gewusst, schon ehe ich sein Haus betreten hatte.
    Ich brauchte jetzt ein Opfer – viele Opfer! Und so veranstaltete ich eine grausame Jagd auf die paar verfemten Seelen, die ich in den Straßen fand, bis ich keinen Tropfen Blut mehr aufnehmen konnte.
    Zuletzt, etwa eine Stunde vor Tagesanbruch, fand ich mich auf einem kleinen Platz vor einer Kirche wieder; an deren Portal gelehnt hockte ich wie ein Bettler, wenn Bettler sich denn mit roten Umhängen ausstatten. Die beiden Vampire, die ich auf meinen Fersen gewusst hatte, näherten sich mir mit furchtsamen Schritten.
    Ich war erschöpft und ungeduldig.
    »Verschwindet!«, sagte ich. »Sonst vernichte ich euch.« Ein junger Mann und eine junge Frau, beide in jugendlichem Alter verwandelt; sie zitterten zwar, zogen sich jedoch nicht zurück.

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