Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
nimm ihn.
Und obwohl ich hörte, dass die beiden anderen Bluttrinker, dieses junge Paar, mir folgte, kümmerte ich mich nicht im Mindesten darum. Sie fürchteten mich zu sehr, um dicht an mich heranzukommen. So schritt ich also weiter auf dem Weg zu meiner Tat. Nur ein paar Straßenzüge, und dann stand ich vor Sandros Tür, drinnen brannten die Lampen, und in meiner Tasche war eine Börse mit Gold.
Gedankenverloren, träumend, durstig pochte ich an, wie beim ersten Mal.
Nein, so etwas wirst du niemals tun, dachte ich. Du wirst niemanden, der so lebendig ist, aus seiner Welt reißen. Du wirst die Zukunft eines Menschen nicht durcheinander bringen, der anderen so viel schenkt, das sie lieben, an dem sie sich erfreuen können. Sandros Bruder kam an die Tür, aber dieses Mal war er höflich und führte mich in die Werkstatt, wo Botticelli allein bei der Arbeit war. Er wandte sich mir grüßend zu, kaum dass ich den großen Raum betrat.
Hinter ihm ragte ein großes Paneel mit einem Bild, das von einer erschütternd von seinem sonstigen Werk abweichenden Auffassung kündete. Ich ließ den Blick darüber gleiten, wie er es wahrscheinlich erwartete, und ich glaube, ich konnte meine Missbilligung und meine Sorge nicht vor ihm verbergen. Die Gier nach Blut wütete in mir, aber ich unterdrückte sie und starrte nur das Gemälde an, dachte an nichts, nicht an Sandro, nicht an seinen Tod und seine Wiedergeburt durch mich, nein, ich dachte an nichts als dieses Bild, während ich angestrengt den Menschen für ihn spielte.
Es war eine grimmige, abschreckende Darstellung der Dreieinigkeit – Christus am Kreuz, Gottvater hochragend hinter ihm und der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, die über dem Haupte Christi schwebte. Auf einer Seite des Bildes stand Johannes der Täufer, im Begriff, Gottvater den scharlachfarbenen Mantel zu öffnen, auf der anderen Seite die büßende Magdalena; nur von ihrem langen Haar verhüllt, schaute sie gramerfüllt zum gekreuzigten Herrn. Es schien mir, dass Botticelli hier von seinem Talent sehr schlechten Gebrauch gemacht hatte! Das Bild schien mir schauderhaft. Oh, es war meisterhaft gemacht, ja, aber so erbarmungslos. Erst jetzt erkannte ich, dass mir seine Pieta die perfekte Balance der hellen und dunklen Mächte gezeigt hatte. Denn hier sah ich dieses Gleichgewicht nicht. Im Gegenteil, es war erstaunlich, dass Botticelli ein derartig finsteres Werk schaffen konnte. Es war bitter. Hätte ich es woanders gesehen, ich hätte es nicht für seine Arbeit gehalten.
Und es schien mir eine hintersinnige Strafe Gottes, dass ich einen Moment lang vorgehabt hatte, Botticelli Das Blut zu geben! Lebte der Gott der Christen etwa doch? Konnte er mich davon abhalten? Konnte er mich strafen? Stand ich deshalb nun diesem Bild gegenüber, und Botticelli stand daneben und schaute mir in die Augen, wartete darauf, dass ich mich zu dem Gemälde äußerte? Er wartete geduldig auf den Schmerz, den ihm meine Worte zufügen mussten. Und tief in mir spürte ich die Liebe zu Botticellis Talent, die mit Gott oder dem Teufel oder meinen eigenen bösen Kräften nichts zu schaffen hatte. Und weil ich sein Talent liebte, konnte ich Botticelli respektieren, und nichts anderes spielte in diesem Augenblick eine Rolle. Ich schaute abermals zu dem Bild auf.
»Wo ist die Unschuld, Sandro?«, fragte ich ihn und versuchte, möglichst gütig zu klingen.
Wieder kämpfte ich gegen den Blutdurst. Schau, wie alt er ist. Wenn du es nicht tust, wird er bald sterben.
»Wo ist die Zartheit auf diesem Bild?«, fragte ich. »Wo ist die Lieblichkeit, die einen alles vergessen lässt? Ich sehe nur einen schwachen Abglanz davon, auf dem Antlitz von Gott, dem Vater, aber der Rest – es ist düster, Sandro. Das ist gar nicht Eure Art, dieses Finstere. Ich verstehe nicht, warum Ihr so etwas gemalt habt, wo Ihr doch zu ganz anderem fähig seid.«
Der Durst nach Blut wütete in mir, aber ich beherrschte ihn, drängte ihn in mein tiefstes Inneres zurück. Ich liebte Botticelli zu sehr, um ihm das anzutun. Ich brachte es nicht fertig. Ich würde das Ergebnis nicht ertragen können. Zu meinen Bemerkungen nickte er. Er war unglücklich. Ein Mann, zerrissen zwischen dem Wunsch, einerseits seine Göttinnen, andererseits auch die frommen Bilder zu malen.
»Marius«, sagte er, »ich möchte nichts Sündiges malen. Nichts, was böse ist oder was jemanden allein durch das bloße Ansehen sündigen lässt.«
»Davon seid Ihr weit entfernt, Sandro«,
Weitere Kostenlose Bücher