Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Ihr?«, fragte er. Seine Stimme war ebenso schlicht wie seine Umgangsformen. Er war recht groß. Sein Haar war von hellem Braun, jedoch schon mit grauen Fäden durchzogen, obwohl er nicht alt war. Meiner Ansicht nach war er noch keine vierzig. Seine großen Augen zeugten von Mitgefühl, und sein Mund und seine Nase waren wohlgeformt. Ohne eine Spur von Verärgerung oder Argwohn betrachtete er mich, offensichtlich bereit, das Gold zurückzugeben.
Ich setzte zum Sprechen an und stammelte! Ich kann mich nicht erinnern, je zuvor gestammelt zu haben, aber schließlich bekam ich doch einen vernünftigen Satz heraus:
»Lasst mich jetzt bitte in Eure Werkstatt ein. Ich möchte Eure Bilder sehen. Sonst verlange ich gar nichts.«
»Ihr könnt sie doch tagsüber sehen.« Er zuckte mit den Achseln. »Die Werkstatt ist immer offen. Oder Ihr könnt in die Kirchen gehen, wo ich etwas gemalt habe. Meine Arbeiten sind über ganz Florenz verteilt. Ihr müsst mich nicht bezahlen, um meine Bilder anzuschauen.« Seine Stimme war wohlklingend, Ehrlichkeit schwang darin mit, Langmut und ein sanftes Wesen.
Ich staunte ihn an, wie ich seine Gemälde angestaunt hatte. Aber er wartete auf eine Antwort. Ich musste mich zusammenreißen.
»Ich habe Gründe«, erklärte ich. »Ich habe meine Vorlieben. Ich möchte gern jetzt Eure Werke sehen, wenn Ihr gestattet. Dafür biete Ich Euch das Gold.«
Er stieß ein leises Lachen aus. »Gut. Seid Ihr etwa einer der Heiligen Drei Könige«, fragte er lächelnd, »denn Euer Geld kommt mir recht gelegen. Kommt herein.«
Jetzt wurde ich schon zum zweiten Mal in meinem Leben mit einem dieser Könige aus der Schrift verglichen, und es gefiel mir sehr. Ich betrat das Haus, das von keinerlei Luxus kündete, und folgte Botticelli durch eine Seitentür in die Werkstatt, wo er die von dem anderen Mann entgegengenommene Lampe auf einem Tisch abstellte, der mit Farben, Pinseln und Tuchfetzen übersät war.
Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Dieser Mann also, dieser ganz gewöhnliche Mann, hatte die großartigen Gemälde in der Sixtinischen Kapelle geschaffen! Das Licht der Lampe flackerte auf und erhellte den Raum. Sandro, wie er sich genannt hatte, zeigte nach links, und als ich mich umdrehte, dachte ich, ich müsste den Verstand verlieren. Die ganze Wand wurde von einer riesigen Leinwand eingenommen. Ich hatte trotz des die Sinne ansprechenden Malstiles eine religiöse Darstellung erwartet, aber hier sah ich etwas völlig anderes, und das machte mich abermals sprachlos.
Das Bild war, wie gesagt, riesig und zeigte mehrere Personen, doch wenn mich die Thematik der römischen Gemälde verwirrt hatte, so kannte ich das Thema dieses Bildes nur zu gut. Denn hier sah man nicht Heilige oder Engel oder Christus oder die Propheten – nein, beileibe nicht!
Vor mir ragte das herrliche Abbild der Göttin Venus in ihrer ganzen glorreichen Nacktheit. Ihre Füße ruhten auf einer großen Meeresmuschel, eine sanfte Brise zauste ihr goldenes Haar, und ihre Augen blickten verträumt in die Ferne. In ihrem treulichen Gefolge war der Gott Zephyr, der mit seinem Atem ihr Gefährt landwärts trieb, und eine Nymphe, von ebensolcher Schönheit wie die Göttin selbst, die sie am Ufer willkommen hieß.
Ich sog den Atem ein und bedeckte mein Gesicht mit den Händen, und als ich endlich wagte, sie wieder fortzunehmen, war das Bild immer noch da.
Sandro Botticelli stieß einen etwas ungeduldigen Seufzer aus. Dieses Gemälde war so brillant! Was im Namen der Götter konnte ich ihm dazu sagen? Was konnte ich sagen, um ihm meine überschwängliche, demütige Verehrung zu zeigen? Dann sprach er, leise und resigniert: »Wenn Ihr mir jetzt sagt, dass es empörend und sündig ist, dann entgegne ich Euch, dass ich das schon tausendmal gehört habe. Meinetwegen nehmt Euer Gold zurück. Ich hab’s schon tausendmal gehört.«
Ich wandte mich um, sank vor ihm auf die Knie, nahm seine Hände und drückte meine Lippen ganz leicht darauf – mehr wagte ich nicht. Dann erhob ich mich langsam, erst von dem einen, dann dem anderen Knie, wie ein alter Mann, und trat ein wenig zurück und betrachtete das Bild lange Zeit.
Ich betrachtete die perfekte Gestalt der Venus, die ihre Scham mit den wallenden Locken ihres langen Haares verhüllte. Ich betrachtete die Nymphe in ihren flatternden Gewändern, die ihr die Hand entgegenstreckte. Ich betrachtete den Gott Zephyr und die Göttin neben ihm, und langsam nisteten sich all die winzigen,
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