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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ausführlichen Einzelheiten des Bildes in meinem Gedächtnis ein.
    »Wie kam dieses Bild zustande?«, fragte ich. »Nach so langer Zeit, in der immer nur Christus und die Heilige Jungfrau das Thema waren, wie kam es dazu, dass man nun so etwas malen kann?« Dieser ruhige Mann, der so anspruchslos wirkte, lachte abermals kurz auf.
    »Das ist Sache meines Auftraggebers«, sagte er. »Mein Latein ist nicht so gut. Sie lesen mir aus den Dichtern vor, und ich male, was sie von mir verlangen.« Er unterbrach sich, sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Haltet Ihr es für sündig?«
    »Aber bestimmt nicht«, antwortete ich. »Ihr fragt mich, was ich davon halte? Ich denke, es ist ein Wunderwerk. Ich staune, dass Ihr fragt!« Ich schaute auf das Bild.
    »Das ist eine Göttin«, erklärte ich. »Wie könnte das nicht heilig sein? Einstmals beteten Millionen von Menschen sie aus vollem Herzen an, weihten sich ihr mit ganzer Seele.«
    »Nun ja«, sagte er leise, »aber sie ist eine heidnische Göttin, und nicht jeder teilt die Meinung, sie sei die Schutzherrin der Ehe. Einige sagen, das Bild sei sündig und ich sollte es besser nicht malen.« Er stieß einen deprimierten Seufzer aus. Er wollte mehr sagen, aber ich spürte, dass ihm diese Debatte zu kompliziert war.
    »Hört nicht auf so etwas«, bat ich. »Das Gemälde hat eine Reinheit, wie ich sie kaum je zuvor gesehen habe. Das Gesicht der Göttin, die Art, wie Ihr sie dargestellt habt – sie ist gerade geboren und doch erhaben, sie ist eine Frau und doch göttlich. Denkt nicht an Sünde, wenn ihr daran arbeitet. Diese Bild ist zu wichtig, zu aussagekräftig. Schlagt Euch diesen Kampf um sündig oder nicht aus dem Kopf.« Er schwieg, aber ich wusste, er dachte nach. Ich wandte mich ihm zu und versuchte, in seinem Geist zu lesen. Chaos herrschte darin, unruhige Gedanken und Schuldgefühle.
    Er war als Maler fast völlig auf die Gnade seiner Auftraggeber angewiesen, aber die charakteristischen Eigenarten seines Werks, die von allen hoch geschätzt wurden, hatten ihn zu dem überragenden Maler gemacht.
    Und nirgends kam sein Talent besser zum Ausdruck als in diesem einen Bild, und das war ihm bewusst, obwohl er es nicht in Worte fassen konnte. Er grübelte darüber, wie er mir seine Kunst, die Originalität seines Stiles, erklären könnte, aber es gelang ihm nicht. Und ich würde ihn nicht drängen. Das wäre nicht recht.
    »Ich habe Euch nicht verstanden«, sagte er schlicht. »Ihr glaubt wirklich nicht, dass das Bild sündig ist?«
    »Ja, ich sagte es doch, es ist nicht sündig. Wer Euch etwas anderes sagt, lügt.« Ich konnte es nicht genug betonen. »Seht doch nur die Unschuld im Antlitz der Göttin. Vergesst alle andere!« Er wirkte gequält, und ich spürte mit einem Mal, wie verletzlich er trotz seines großen Talentes und seines ungeheuren Arbeitseifers war. Kritik konnte den inneren Antrieb, der ihn zu seiner künstlerischen Arbeit befähigte, vollständig zerstören. Und doch ging er Tag für Tag wieder ans Werk und malte nach besten Kräften.
    »Glaubt ihnen nicht«, sagte ich noch einmal, während ich ihn dazu brachte, mich wieder anzusehen.
    »Kommt«, sagte er zu mir, »Ihr habt mir dafür, dass Ihr meine Werke ansehen dürft, einen guten Preis gezahlt. Nun seht Euch dieses Rundbild der Jungfrau Maria mit den Engeln an. Sagt, wie gefällt es Euch?«
    Er trug die Lampe zur hinteren Wand und hielt sie hoch, damit ich das runde Bild, das dort hing, betrachten konnte. Auch hier erschütterte mich die süße Anmut des Bildes so sehr, dass ich nichts sagen konnte. Aber offensichtlich war die Jungfrau von ebenso reiner Schönheit wie die Göttin Venus, und die Engel waren sinnlich und verlockend, wie nur sehr junge Menschen es sein können.
    »Ich weiß«, erklärte Botticelli, »Ihr braucht es nicht zu sagen! Meine Venus sieht aus wie die Jungfrau und die Jungfrau wie die Venus, sagt man mir nach. Aber meine Auftraggeber bezahlen mich.«
    »Hört auf Eure Kunden«, empfahl ich ihm. Ich hätte gerne seinen Arm ermutigend gedrückt, hätte ihn gern sanft geschüttelt, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, damit er sie nie vergaß. »Tut, was sie Euch sagen. Beide Bilder sind einfach großartig. Besser als alles, was ich je gesehen habe.«
    Er konnte nicht ahnen, was diese Worte wirklich bedeuteten. Ich durfte es ihm nicht sagen. Ich sah ihn unverwandt an, und zum ersten Mal bemerkte ich etwas wie Besorgnis, einen Vorbehalt bei ihm. Nach und nach schien ihm

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