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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mit bloßen Händen aufzuheben.
    Mein eigenes Haar – um das zu erwähnen – konnte ich nun erfreulicherweise lang tragen, denn das entsprach ganz der herrschenden Mode, und ich bürstete es gerne, bis es sauber glänzte, und dann, während der Himmel noch purpurn gefärbt war, ging ich auf einen Spaziergang über die Piazza, in dem Bewusstsein, dass die Leute mir nachsahen und sich fragten, wer ich eigentlich war.
    An meine Malerei ging ich zuerst einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammen mit einer Hand voll Lehrlingen heran, indem ich das eine oder andere Holzpaneel bemalte. Ich schuf ein paar recht gute religiöse Bilder – alle zeigten die Jungfrau Maria und den Engel Gabriel, der ihr erschien, denn dieses Thema – die Verkündigung – sprach mich sehr an. Und ich war doch recht überrascht, wie gut ich den Stil dieser Epoche imitieren konnte.
    Doch bald nahm ich ein größeres Projekt in Angriff, das mein übersinnliches Können und meine geistigen Fähigkeiten gleichermaßen auf die Probe stellen sollte.

 
     
     
18
     
    I ch will dir erklären, was das für ein Projekt war: In Florenz gab es in einem Palast der Medici eine Kapelle, und deren Wände schmückte ein großes Gemälde von einem Maler namens Gozzoli mit dem Titel Der Zug der Heiligen Drei Könige – das sind die drei Weisen aus der Schrift, die mit ihren kostbaren Gaben zum Jesuskind kommen.
    Es war ein wunderbares Bild, das durch seine üppig-bunte Detailschilderung hervorstach. Und es war ein sehr irdisches Werk, denn die drei Weisen waren als wohlhabende, reich gekleidete Florentiner dargestellt, genauso wie die riesige Menschenmenge einschließlich der kirchlichen Würdenträger, die ihnen folgte, sodass das ganze Bild ebenso eine Huldigung an das Christuskind war wie an die Epoche, in der das Bild entstand. Das Gemälde zog sich rings um die Innenwände der Kapelle, selbst die Altarnische war damit geschmückt. Allerdings war der Altar recht niedrig.
    Das Bild gefiel mir aus mehreren Gründen. Zwar hatte ich mich nicht, wie es mir bei Botticelli geschehen war, in Gozzoli verliebt, aber ich bewunderte ihn sehr, und die vielen Details dieser Arbeit fand ich phantastisch.
    Nicht nur war die Prozession selbst unglaublich lang, wenn auch nicht endlos, nein, staunen ließ auch die Landschaft im Hintergrund, mit Städten und Bergen, mit Männern auf der Jagd und fliehenden Tieren, mit wunderhübsch gestalteten Burgen und zierlich geformten Bäumen. Nun also, ich wählte einen der größten Säle meines Palazzos und machte mich daran, dort an einer Wand dieses Gemälde zu kopieren. Das bedeutete, dass ich zwischen Florenz und Venedig hin- und herpendeln musste, um mir das Bild Stück um Stück einzuprägen und es dann mit meiner übernatürlichen Kunstfertigkeit auf die Wand zu bannen. Das gelang mir überaus gut.
    Ich »stahl« also den Zug der Heiligen Drei Könige – diese fabelhafte Darstellung, die den Christen so viel bedeutete und den Bürgern von Florenz nicht minder –, und ich übertrug es in lebhaften und exakt kopierten Farben auf meine Wand.
    Es war natürlich kein schöpferisches Werk. Aber ich hatte damit eine mir selbst gestellte Prüfung bestanden, und da niemand zu diesem Raum Zutritt hatte, schätzte ich, dass ich Gozzoli nicht wirklich um etwas beraubt hatte. Und wenn tatsächlich ein Sterblicher seinen Weg hierher, in diesen verschlossen gehaltenen Raum gefunden hätte, dann hätte ich nicht gezögert, zu erläutern, dass das Original von Gozzoli stammte, und als ich mich später tatsächlich entschloss, es meinen Lehrlingen zu Unterrichtszwecken zu zeigen, gab ich diese Erklärung auch sofort. Aber ich will noch kurz auf das Motiv dieses Kunstwerks zurückkommen. Warum sprach es mich so sehr an? Was daran ließ mein Herz höher schlagen? Ich weiß es nicht – allenfalls, dass es etwas damit zu tun hat, dass diese Könige Geschenke brachten, und ich bildete mir ein, dass ich den Knaben, die in meinem Haus lebten, etwas schenkte. Aber ob ich deshalb dieses Werk für meinen ersten Ausflug in die wahre Arbeit mit dem Pinsel wählte, da bin ich mir nicht sicher, nicht im Mindesten.
    Vielleicht lag es auch nur daran, dass mich der Detailreichtum des Bildes so faszinierte. Man konnte sich in die Pferde in diesem Zug vernarren. Oder in die Gesichter der jungen Männer. Schluss mit diesem Thema, denn es ist mir jetzt, da ich davon erzähle, immer noch genauso ein Rätsel wie damals.
    Unmittelbar nach dieser

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