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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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erfolgreichen Kopie richtete ich mir ein geräumiges Malstudio im Palazzo ein und begann, in der Nacht auf großen Holzpaneelen zu malen. Die Jungen schliefen dann schon, und ich brauchte ihre Hilfe eigentlich nicht; auch wollte ich nicht, dass sie meine Arbeitsgeschwindigkeit und Arbeitswut mitbekamen.
    Mein erstes ehrgeiziges Projekt war theatralisch und seltsam. Ich entwarf ein Gruppenbild meiner Lehrlinge, in modische Anzüge gewandet lauschten sie einem ehrwürdigen römischen Philosophen, der wiederum nur eine Tunika und einen Überwurf und Sandalen trug. Den Hintergrund des Gemäldes bildeten die Ruinen des antiken Rom. Es war in leuchtenden Farben gehalten, und meine Jungen waren gut getroffen, das gestehe ich mir zu. Aber ob es gut war, wusste ich nicht. Und ich wusste auch nicht, ob es eher Abscheu hervorriefe.
    Ich ließ die Tür zu dem Studio offen stehen, in der Hoffnung, dass die Lehrer vielleicht am Tage einmal hineinschlenderten. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht den Mut dazu hatten. Ich schuf ein weiteres Bild, dieses Mal war die Kreuzigung mein Thema – ein anerkanntes Thema für jeden Künstler –, und malte es mit viel Feingefühl. Auch hier dienten mir die Ruinen des alten Rom als Hintergrund. War das ein Sakrileg? Ich hatte keine Ahnung. Auch hier wieder wusste ich, die Farben, die Proportionen waren mir gelungen. Den mitleidigen Ausdruck auf dem Antlitz Christi hatte ich gut getroffen. Aber war die Bildkomposition an sich vielleicht etwas Ungehöriges?
    Wie sollte ich das wissen? Ich war so erfahren, hatte so viele Fähigkeiten. Und doch wusste ich nicht: Schuf ich etwas Gotteslästerliches, etwas Monströses?
    Ich nahm mir das Thema der Heiligen Drei Könige noch einmal vor. Ich kannte die traditionellen Zutaten: drei Könige, der Stall, Maria, Joseph, das Jesuskind; und dieses Mal arbeitete ich ohne Vorlage, verlieh Maria die Schönheit Zenobias und schwelgte in den Farben wie schon zuvor.
    Bald schon war mein riesiger Arbeitsraum voller Bilder. Einige hingen ordentlich an der Wand, andere lehnten einfach dagegen. Dann eines Abends beim Nachtmahl, zu dem ich einige der gebildeteren Lehrer eingeladen hatte, erwähnte einer, der Griechischlehrer, nebenbei, dass er durch die Tür einen Blick in meine Werkstatt erhascht habe.
    »Oh, bitte«, meinte ich, »sagt mir doch, was Ihr von meiner Malerei haltet.«
    »Sehr bemerkenswert«, erwiderte er offen. »Ich habe nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen! Also, diese Gestalten in dem Gemälde mit den Heiligen Drei Königen…« Er brach ängstlich ab.
    »Bitte, sprecht doch weiter«, drängte ich sofort, »sprecht! Ich möchte Eure Meinung hören!«
    »Die Personen auf dem Gemälde schauen einen an, sogar Maria und Joseph und die drei Könige. Diese Art der Malerei ist mir noch nicht untergekommen.«
    »Aber ist es falsch?«, fragte ich.
    »Ich glaube nicht«, sagte er eilig. »Aber weiß man’s? Ihr malt zum eigenen Vergnügen, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt«, antwortete ich. »Aber Eure Meinung ist mir wichtig. Manchmal fühle ich mich sehr verletzlich.« Wir lachten. Nur die älteren Jungen hatten interessiert gelauscht, und nun sah ich, dass der älteste, Piero, etwas sagen wollte. Auch er hatte die Bilder gesehen. Er hatte das Studio sogar betreten.
    »Sag mir, was du darüber denkst, Piero«, ermunterte ich ihn, indem ich ihm lächelnd zuzwinkerte. »Komm, sag, was meinst du?«
    »Die Farben, Herr, sie sind wunderschön! Wann ist es endlich so weit, dass wir Euch bei der Arbeit helfen können? Ich bin geschickter, als Ihr vielleicht denkt.«
    »Ich weiß«, sagte ich in Erinnerung an die Werkstatt, aus der ich ihn geholt hatte. »Ich werde noch früh genug auf euch zurückkommen.«
    Und das tat ich noch in der gleichen Nacht. Da ich bezüglich der Themen ernstliche Zweifel hatte, beschloss ich, mich dabei von Botticelli inspirieren zu lassen. Als Nächstes nahm ich eine Pieta in Angriff. Und ich stellte Christus so zerbrechlich und verletzlich wie nur eben möglich dar und umgab ihn mit zahllosen Trauernden. Heide, der ich war, wusste ich nicht genau, welche Personen unbedingt dazugehörten! Und so schuf ich eine große Schar Trauernder – alle in florentinischer Tracht –, die den toten Jesus beweinten, und dazu am Himmel oben von Gram verzehrte Engel, ähnlich denen, die ich bei dem Maler Giotto gesehen hatte. Nur fiel mir nicht mehr ein, in welcher italienischen Stadt ich sein Werk studiert hatte. Meine Lehrlinge staunten

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