Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
nach meinen Anweisungen zum Malen vorbereitet hatten. Es war eine Kleinigkeit, die Temperafarben zu mischen, und ich beeilte mich damit, sodass mir bald eine reiche Farbpalette zur Verfügung stand. Und dann begann ich, immer wieder den Blick in den mitgebrachten Spiegel versenkend, ein Selbstporträt zu malen, mit raschen, präzisen Pinselstrichen und ohne mich groß zu korrigieren, bis das Bild vollendet war. Dann trat ich ein paar Schritte zurück und fand mich Auge in Auge mit meiner Schöpfung. Ich war nicht mehr der Mann, der damals in einem Wald des Nordens gestorben war, auch nicht der wahnwitzige Bluttrinker, der Die Mutter und Den Vater aus Ägypten fortgeholt hatte. Ebenso wenig war ich der ausgehungerte, zähe Vagabund, der für Hunderte von Jahren durch die Zeiten geglitten war. Nun sah mich ein kühner, stolzer Unsterblicher an, ein Bluttrinker, der nach seinem Platz in der Welt verlangte, ein übernormales Wesen mit ungeheurer Macht, das darauf bestand, einen Platz unter den Menschen zu haben, von denen er einstmals selbst einer war.
Im Verlauf der Monate fand ich, dass mein Plan recht gut funktionierte. Eigentlich funktionierte er sogar bewundernswert. Ich war völlig besessen von meinen Kleidern, alle nach der neuesten Mode geschnitten, von diesen samtenen Tuniken und Beinkleidern und den wunderbaren, mit seltenen Pelzen gefütterten Umhängen. Eigentlich war ich auch besessen von Spiegeln. Ich konnte mich an meinem Abbild im Spiegel gar nicht satt sehen. Mit größter Sorgfalt trug ich meine abdeckenden Salben auf. Jeden Abend nach Sonnenuntergang erhob ich mich, die Haut unter der erforderlichen Schminke verborgen und komplett bekleidet, und wurde beim Eintritt in meinen Palast von meinen Kindern mit einer herzlichen Begrüßung empfangen. Dann verabschiedete ich die Lehrer und Tutoren und setzte mich mit meinen Knaben zu einem reichen Mahl nieder, wo es alle entzückte, üppig wie die Prinzen zu speisen, während dabei Musikanten aufspielten.
Dann unterzog ich meine Jungen einer milden Befragung über das am Tage Gelernte. Unsere langen, tiefgründigen Unterhaltungen führten immer wieder zu den erstaunlichsten Ergebnissen. Ich konnte leicht entscheiden, welcher Lehrer Erfolge erzielte und wer die von mir gewünschten Ergebnisse nicht vorweisen konnte. Was nun die Knaben selbst anging, so sah ich schon bald, wer von ihnen großes Talent besaß, wer nach Padua auf die Hohe Schule geschickt und wer besser als Goldschmied oder Maler ausgebildet werden sollte. Wir hatten nicht einen Versager dabei. Du verstehst, bei diesem Unterfangen setzte ich meine übersinnlichen Fähigkeiten ein. Ich wiederhole, all diese Jungen hatte ich mit der Gabe des Geistes ausgewählt, und was ich ihnen in diesen Monaten bot, die bald zu Jahren wurden, war etwas, das sie ohne mein Eingreifen nie bekommen hätten. Für sie war ich ein Zaubermeister, der ihnen half, eine Ausbildung zu erlangen, von der sie zuvor nicht einmal geträumt hatten.
Und zweifellos fand auch ich ungeheure Befriedigung in dem Erreichten, denn ich war diesen Knaben ein Lehrer, wie ich es einst vor vielen Jahren gern für Avicus und Zenobia gewesen wäre, und ich dachte immer wieder an die beiden. Ich konnte die Gedanken an sie nicht vermeiden und fragte mich stets, was aus ihnen geworden war. Hatten sie überlebt? Ich wusste es nicht. Aber mir war etwas über mich selbst klar geworden: Ich hatte die beiden, Zenobia und Avicus, geliebt, weil sie mir gestattet hatten, ihnen ein Lehrer zu sein. Und weil Pandora mir verwehrte, ihr Lehrer zu sein, hatte ich ständig mit ihr gestritten. Sie war zu gebildet und zu klug, um nicht eine scharfzüngige verbale und mentale Gegnerin zu sein, und ich hatte sie idiotischerweise aus ebendem Grund verlassen.
Aber noch so viel Selbsterkenntnis konnte meine Sehnsucht nach Zenobia und Avicus nicht ausschalten und die Frage, welche Wege sie in der Welt gegangen waren. Zenobias Schönheit hatte tiefere Gefühle in mir hervorgerufen als Avicus’, und ich konnte nicht einmal die schlichte Erinnerung an Zenobias weiches Haar aus meinem Gedächtnis verbannen.
Manchmal, wenn ich in meinem Schlafgemach allein war, wenn ich an meinem Schreibtisch saß und zusah, wie der Wind die Vorhänge blähte, dachte ich daran, wie damals in Konstantinopel Zenobias Haar auf dem Mosaikboden gelegen hatte, nachdem sie es abgeschnitten hatte, um als Knabe durch die Straßen zu ziehen. Ich hätte gerne die tausend Jahre überbrückt, um es
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