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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schicksal voraussagen konnten, oder solchen, die sonst als Hexen verbrannt worden wären, und als ich noch tiefer forschte, sah ich Bibliotheken, in denen altehrwürdige Folianten über Magie verwahrt lagen.
    Es schien ein Ding der Unmöglichkeit, dass in dieser vom Christentum beherrschten Ära eine derartige Macht bestehen konnte. Ich nahm die goldene Münze mit dem eingravierten Wort »Talamasca«, steckte sie in die Tasche, und dann ergriff ich die Hand des jungen Mannes. Jetzt packte ihn Furcht.
    »Glaubst du, ich will dich töten?«, fragte ich ihn sanft.
    »Nein, ich denke, nein«, antwortete er, »aber schau, ich habe dich so lange und mit solcher Liebe erforscht, und ich kann es trotzdem nicht sagen.«
    »Liebe, ja?«, fragte ich. »Wie lange weiß dein Orden schon von Wesen wie mir?« Ich hielt immer noch seine Hand fest. »Immer schon, und ich sagte dir ja, wir sind sehr alt.« Ich dachte ein Weile darüber nach, ließ ihn aber nicht los. Wieder suchte ich in seinem Geist, konnte jedoch keinen Täuschungsversuch entdecken. Ich ließ meinen Blick über die tanzenden jungen Leute schweifen, die sich mit gediegenem Anstand bewegten, ließ mich von der Musik erfüllen, als hätte es diese seltsame Störung nie gegeben.
    Dann ließ ich seine Hand los und sagte: »Geh; verlass Venedig! Ich gebe dir einen Tag und eine Nacht, dann bist du fort. Denn ich möchte dich nicht hier wissen.«
    »Ich verstehe«, sagte er dankbar.
    »Du hast mich zu lange beobachtet«, sagte ich vorwurfsvoll. Aber eigentlich galt der Vorwurf mir selbst. »Ich weiß, dass du deinem Mutterhaus schon Briefe mit einer Beschreibung von mir geschickt hast. Ich weiß es, weil ich es genauso gemacht hätte.«
    »Ja«, bestätigte er, »ich habe dich studiert. Aber nur für die, die mehr von der Welt und all ihren Geschöpfen erfahren möchten. Wir verfolgen niemanden. Und unsere Geheimnisse sind gut gesichert vor Leuten, die Schaden damit anrichten könnten.«
    »Schreib, was du willst«, sagte ich, »aber geh fort und erlaube es nicht, dass noch einmal Mitglieder deines Ordens in diese Stadt kommen.«
    Er wollte schon vom Tisch aufstehen, da fragte ich ihn nach seinem Namen. Wie so oft hatte ich auch jetzt seinen Namen nicht aus seinen Gedanken lesen können.
    Leise sagte er: »Raymond Gallant. Wenn du je Kontakt mit mir aufnehmen möchtest…«
    »Niemals«, zischte ich kaum hörbar.
    Er nickte, hielt sich jedoch nicht an die Mahnung, die in dem Tonfall lag, sondern fuhr unbeirrt fort: »… schreib an das Schloss, dessen Name auf der Rückseite der Münze steht.« Ich sah ihm hinterher, als er aus dem Ballsaal ging. Er war zu unscheinbar, um Aufmerksamkeit zu erregen, und man konnte ihn sich wirklich vorstellen, wie er in einer Bibliothek voller Tintenkleckse mit stiller Hingabe vor sich hin werkelte. Aber sein Gesicht war erstaunlich anziehend. Ich blieb am Tisch sitzen, brütete vor mich hin und sprach nur ein paar Worte, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ich staunte immer noch, dass mir dieser Sterbliche so nahe kommen konnte. War ich inzwischen zu sorglos? So sehr in Amadeo und Bianca verliebt, dass ich die schlichtesten Anzeichen, die in mir die Alarmglocken schrillen lassen sollten, unbeachtet ließ? Hatten die herrlichen Bilder Botticellis eine Kluft zwischen mir und der Unsterblichkeit eingerissen?
    Ich wusste es nicht, aber tatsächlich gab es eine ziemlich gute Erklärung für das, was Raymond Gallant getan hatte. Der Saal war mit Menschen überfüllt gewesen, er war nur einer unter vielen, und vielleicht hatte er ja das Talent, seine Gedanken im Zaum zu halten, sie nicht wie eine Fahne vor sich her zu tragen. Und weder seine Gesicht noch seine Gesten wirkten irgendwie bedrohlich. Ja, es war alles ganz einfach zu erklären, und als ich daheim in meinem Schlafgemach war, fühlte ich mich schon nicht mehr so unwohl, sondern brachte es fertig, mich darüber in meinem Tagebuch des Längeren auszulassen, während Amadeo wie ein gefallener Engel auf meinem roten Satinbett schlummerte. Sollte ich diesen jungen Mann fürchten, der meinen Wohnsitz kannte? Ich meinte, nein. Ich spürte nicht die geringste Gefahr. Ich glaubte, was er mir erzählt hatte. Ganz plötzlich, etwa zwei Stunden vor Tagesanbruch, kam mir ein erschütternder Gedanke: Ich musste Raymond Gallant noch einmal sehen! Ich musste mit ihm sprechen! Was war ich für ein Narr!
    Ich ließ Amadeo schlafen und ging abermals in die Nacht hinaus. Und dann suchte ich ganz Venedig

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