Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
müsse er erst allen Mut zusammennehmen, sagte er: »Kannst du ihr nicht eine Botschaft senden, über Meilen hinweg?« Ich schüttelte den Kopf.
»Ich machte sie zum Bluttrinker, und seitdem ist mir ihr Geist verschlossen. Das Gleiche gilt für den schönen jungen Mann, den du heute Nacht beim Tanz sahst. Erzeuger und Geschöpf können sich gedanklich gegenseitig nicht erreichen.« Er erwog das so ruhig, als sprächen wir über ganz gewöhnliche menschliche Angelegenheiten, dann meinte er: »Aber sicher ist deine geistige Kraft so groß, dass du anderen die Botschaft schicken kannst, die vielleicht auf Pandora stoßen und ihr sagen können, dass du nach ihr suchst und wo du dich aufhältst.« Einen Moment lang stand etwas Seltsames zwischen uns. Wie konnte ich zugeben, dass ich sie nicht bitten konnte, zu mir zu kommen? Wie konnte ich mir selbst gegenüber zugeben, dass ich sie überwältigen, sie in meine Arme reißen und sie zwingen musste, mich anzuschauen, wie konnte ich zugeben, dass ein alter Groll mich von ihr fern hielt? Das konnte ich nicht einmal mir selbst eingestehen.
Ich sah ihn an. Er beobachtete mich, beruhigte sich langsam, war aber ganz hingerissen.
»Bitte, verlass Venedig«, sagte ich, »wie ich dich gebeten habe.« Ich löste meine Börse und legte eine Anzahl Goldflorine auf den Schreibtisch, wie ich es schon zweimal bei Botticelli gemacht hatte. »Nimm das bitte an, für deine Mühe. Geh fort von hier, und schreib mir, wenn möglich.«
Wieder nickte er, seine hellen Augen blickten klar und entschlossen, sein junges Gesicht war gezwungen ruhig. »Es wäre ein ganz gewöhnlicher Brief, der auf ganz gewöhnlichem Wege nach Venedig gelangte, doch für mich enthielte er die wunderbarste Auskunft, wenn ich darin Nachricht über eine Frau erhielte, die ich seit tausend Jahren nicht mehr im Arm gehalten habe.«
Das versetzte ihm einen Schock, wenn ich auch nicht verstand, warum. Er musste doch das Alter jenes Steinblocks in Antiochia kennen! Aber ich sah, wie der Schreck ihm bis in die Glieder fuhr.
»Was habe ich getan?«, fragte ich laut, meinte aber nicht ihn damit. »Ich werde bald aus Venedig fortgehen, deinetwegen und aus vielen anderen Gründen. Ich verändere mich nicht, und so kann ich nicht sehr lange den Sterblichen spielen. Ein weiterer Grund ist die junge Frau, die du heute Nacht mit meinem Zögling tanzen sahst, denn ich habe geschworen, dass ich sie nicht umwandeln werde. Aber ich habe mein Rolle hier hervorragend gespielt. Halt das in deinen Berichten fest. Beschreib mein Haus wahrheitsgetreu, mit all seinen Gemälden und hellen Lampen, immer von Musik und Lachen erfüllt, von Frohsinn und Wärme.« Seine Miene wandelte sich, wurde betrübt, aufgeregt, ohne dass sich ein Muskel regte, und dann stiegen ihm Tränen in die Augen: Er wirkte so weise für sein Alter. Und seltsam mitfühlend.
»Was ist mit dir, Raymond Gallant?«, fragte ich. »Wie kannst du meinetwegen weinen? Erklär mir das bitte.«
»Marius«, antwortete er, »die Talamasca hat mich gelehrt, dass du Schönheit besäßest und gleichermaßen mit Engels- und Teufelszungen sprächest.«
»Wo nun ist der Teufel, Raymond Gallant?«
»Ah, da hast du mich erwischt! Den Teufel habe ich nicht vernommen. Ich wollte unbedingt daran glauben, aber ich habe ihn nicht gehört, da hast du Recht.«
»Sahst du ihn in meinen Bildern, Raymond Gallant?«
»Nein, auch da nicht, Marius.«
»Dann sag mir, was du sahst!«
»Erschreckende Kunstfertigkeit und herrliche Farben«, antwortete er, ohne einen Moment zu zögern, als ob er schon gründlich darüber nachgedacht hätte. »Wunderbare Gestalten und großen Einfallsreichtum, zu jedermanns Entzücken.«
»Aber bin ich besser als der Florentiner Botticelli?«, fragte ich. Sein Gesicht überschattete sich, und er zog die Brauen zusammen.
»Nun, ich will es für dich beantworten«, sagte ich. »Ich male nicht besser als er.« Er nickte.
»Bedenke«, fuhr ich fort, »ich bin unsterblich, Botticelli ist nur ein Mensch. Und doch, hat Botticelli nicht Wunder gewirkt in seinen Bildern?«
Ich konnte nicht länger hier bleiben, es schmerzte mich zu sehr. Mit beiden Händen umfasste ich sanft Gallants Gesicht, ehe er sich wehren konnte. Seine Hände fassten meine Handgelenke, aber er war natürlich nicht in der Lage, meinen Griff zu mildern. Ich schob mich dicht an ihn heran und flüsterte: »Ich will dir etwas schenken, Raymond. Gib Acht. Ich will dich nicht töten. Ich will dir nichts
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