Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
begabst.«
»So fing es also für euch hier in Venedig an«, meinte ich, »ich bin wohl ziemlich stümperhaft zu Werke gegangen.«
»Ja, hier in Venedig«, stimmte er zu. »Einer von uns hat dich gesehen und berichtete es an unser Mutterhaus in England, und man schickte mich aus, um genau herauszufinden, was und wer du bist. Als ich dich erst einmal in deinem eigenen Haus gesehen hatte, wusste ich, dass es stimmte.«
Ich lehnte mich zurück und betrachtete ihn abschätzend. Er war in gediegenen rehbraunen Samt gekleidet, sein Umhang mit Fell verbrämt, an den Händen steckten ein paar schlichte silberne Ringe. Sein aschblondes Haar trug er lang und glatt frisiert. Die Augen waren vom gleichen Grau wie sein Haar. Seine hohe Stirn noch frei von Furchen. Er schien vor Sauberkeit zu glänzen.
»Und welche Wahrheit meinst du?«, fragte ich, so freundlich es eben ging. »Was, meinst du, ist die Wahrheit über mich?«
»Du bist ein Vampir, ein Bluttrinker«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken, sein Ton so höflich wie zuvor, seine Haltung gefasst. »Du bist schon Jahrhunderte alt. Ich weiß nicht, wie alt. Ich will mich nicht in Vermutungen ergehen. Ich würde es gern von dir erfahren. Du hast nicht gestümpert. Ich war derjenige, der auf dich zugegangen ist.«
Das alte Latein wieder zu sprechen hatte seinen Reiz. Und die Augen des Mannes, in denen sich das Licht der Lampen brach, spiegelten ehrliche Erregung, die nur durch seine würdevolle Haltung gedämpft wurde.
»Ich kam zu Besuch, als du Gäste in deinem Haus willkommen hießest«, fuhr er fort. »Ich verschmähte deine Gastfreundschaft nicht. Ach, was ich dafür geben würde, zu wissen, wie alt du bist und was du schon alles gesehen hast.«
»Und was«, fragte ich, »würdest du damit anfangen, wenn ich es dir wirklich sagte?«
»Es unseren Bibliotheken anvertrauen. Unser Wissen mehren. Bekannt werden lassen, dass das, was man als Legende bezeichnet, tatsächlich wahr ist.« Er hielt inne, dann fügte er hinzu: »Eine glorreiche Wahrheit.«
»Ah, aber du hast schon jetzt etwas zu berichten, nicht wahr?«, fragte ich. »Du kannst berichten, dass du mich hier getroffen hast.« Ganz bewusst wandte ich meinen Blick von ihm ab und schaute zu den Tänzern hinüber. Dann sah ich ihn wieder an, um mich zu vergewissern, dass er gehorsam der Richtung meines Blickes gefolgt war.
Er beobachtete Bianca, die bedachtsam ihre Tanzschritte setzte, während Amadeo lächelnd ihre Hand gefasst hielt. Das Licht malte glänzende Reflexe auf seine Wangen. Die lieblichen Klänge der Musik und Amadeos zustimmendes Lächeln schienen sie wieder in das junge Mädchen von einst zu verwandeln.
»Und, mein trefflicher Gelehrter der Talamasca«, fragte ich, »was sonst siehst du hier?«
»Noch einen«, antwortete er, während er mir seine Augen ohne Furcht wieder zuwandte, »einen schönen, knabenhaften Vampir, der noch ein Mensch war, als ich ihn zum ersten Mal sah; und nun tanzt er mit einer jungen Frau, die vielleicht bald schon ebenfalls umgewandelt wird.«
Als ich das vernahm, bekam ich Herzrasen. Bis zur Kehle schlug mir das Herz und pochte laut in meinen Ohren. Aber er maßte sich kein Urteil über mich an. Er war im Gegenteil völlig urteilsfrei, und ich musste erst einmal kurz seinen jungen Geist durchstöbern, um zu sehen, ob es wirklich stimmte. Er schüttelte leise den Kopf.
»Vergib mir«, bat er, »noch nie war ich jemandem wie dir nahe.« Er errötete jäh. »Ich habe noch nie mit einem solchen Wesen gesprochen. Ich bete, dass ich das, was ich heute Nacht hier gesehen habe, auf Pergament festhalten kann; wenn du mich jedoch lebendig hier entkommen lässt, schwöre ich dir auf meine Ehre und die Ehre des Ordens, dass ich nichts notieren werde, bis ich England erreicht habe, und dass nichts von dem, was ich niederlege, dir schaden kann.«
Ich verschloss meine Ohren vor der sanften, verführerischen Musik, interessierte mich nur für seinen Geist, in den ich forschend drang, doch ich fand nur, was er mir eben gesagt hatte, und dahinter stand das Bild eines gelehrten Ordens, der dem Anschein nach aus Männern und Frauen bestand, die nur nach Wissen strebten und nicht danach, zu vernichten.
In der Tat bot sich mir gut ein Dutzend erstaunlicher Fälle von mit besonderen Fähigkeiten begabten Menschen, denen Unterschlupf geboten worden war, etwa solchen, die wahrhaftig Gedanken lesen konnten, und anderen, die mit unheimlicher Treffsicherheit aus den Karten das
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