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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die grauenvolle Tatsache in mich ein. Ich glaube, ich stieß ein trauriges Lachen aus.
    »Ich kann dich nicht erreichen, nicht ohne Hilfe«, sagte ich, »und wie kann ich Hilfe erlangen, ohne das Geheimnis meiner Existenz preiszugeben? Ohne das Geheimnis eurer Kapelle preiszugeben?« Schließlich stemmte ich mich hoch auf die Knie und quälte mich langsam die steinernen Stufen hinauf; unter Schmerzen stellte ich mich auf die Füße und verschloss die Bronzetür mit meiner Gedankenkraft. Sicherheit, die war jetzt wichtig, sehr wichtig. Ich muss das hier überstehen, dachte ich, ich darf nicht verzweifeln! Aber dann brach ich abermals zusammen und kroch, ein ekelerregendes Scheusal, die Treppe wieder hinab und in die goldene Kammer, ein ekliges, abscheuliches Etwas. Hartnäckig stemmte ich mich gegen den Sargdeckel, bis ich ihn endlich weit genug geöffnet hatte, um mich darin zur Ruhe zu legen. Nie zuvor hatte ich solche Verletzungen, solche Qualen erfahren. Und mit den Qualen ging eine ungeheuere Demütigung einher. Ach, es gab so vieles, das ich vom bloßen Existieren, vom Leben nicht gewusst hatte.
    Das Wehgeschrei der Jungen verklang bald, sosehr ich auch lauschte. Das Schiff hatte sie zu weit fortgetragen. Aber Bianca konnte ich noch hören. Sie weinte. Elend und schmerzgepeinigt durchforschte ich Venedig mit der Gabe des Geistes.
    »Raymond Gallant, Mitglied der Talamasca«, flüsterte ich, »jetzt brauche ich dich. Raymond Gallant, ich bete, dass du noch in Venedig bist. Raymond Gallant, hörst du mein Bitten?« Ich konnte keine Spur von ihm entdecken, doch wer wusste schon, was mit meinen Fähigkeiten geschehen war? Vielleicht waren sie geschwunden. Ich konnte mich nicht einmal genau an sein Zimmer erinnern oder wo es zu finden war. Aber konnte ich überhaupt hoffen, ihn zu finden? Hatte ich ihm nicht befohlen, Venedig zu verlassen? Und natürlich hatte er mir gehorcht. Zweifellos war er Meilen von der Stelle entfernt, wo er meinen Ruf noch vernommen hätte. Trotzdem wiederholte ich wie ein Gebet unaufhörlich seinen Namen.
    »Raymond Gallant aus der Talamasca, ich brauche dich. Ich brauche dich jetzt.«
    Endlich kam mit der nahenden Morgendämmerung eine frostige Erlösung. Der brüllende Schmerz verblich langsam, und ich begann zu träumen, wie stets, wenn ich einschlafe, ehe die Sonne aufgegangen ist.
    Im Traum sah ich Bianca. Sie war von ihrer Dienerschaft umringt, die ihr Trost zusprach, und sie sagte: »Sie sind tot, beide, ich weiß es. Sie sind im Feuer verbrannt.«
    »Nein, meine Süße«, sagte ich. Und dann rief ich mit der ganzen Kraft meiner Gedanken nach ihr: Bianca, Amadeo haben sie entführt, aber ich lebe. Ich habe schreckliche Verbrennungen, doch du musst keine Angst vor mir haben, wenn du mich siehst. Zumindest lebe ich. Ich sah sie wie in einem Spiegel in den Augen der Dienerschaft, als sie innehielt und sich von ihnen abwandte. Ich sah, wie sie sich von ihrem Stuhl erhob und ans Fenster trat. Sie öffnete es und schaute durch den feuchten Dunst in den Sonnenaufgang. Heute Abend in der Dämmerung werde ich nach dir rufen. Bianca, ich sehe sicher wie ein Ungeheuer aus, aber ich werde dieses Leiden ertragen. Ich werde dich rufen. Hab keine Angst.
    »Marius!«, sagte sie. Die Sterblichen im Raum hörten sie meinen Namen nennen.
    Aber der Morgen war da, und der Schlaf hatte mich zu sich geholt. Ich konnte ihm nicht widerstehen. Endlich spürte ich keinen Schmerz mehr.

 
     
     
25
     
    A ls ich erwachte, war der Schmerz unerträglich. Eine Stunde oder länger lag ich da, ohne mich zu rühren. Ich lauschte den Stimmen Venedigs, dem Wasser, das unter dem Haus und ringsherum dahinströmte, durch die Kanäle bis ins Meer. Ich horchte Santinos Missgeburten nach, in stummem Entsetzen, dass sie möglicherweise immer noch draußen nach mir suchten. Aber sie waren alle fort, zumindest fürs Erste. Ich versuchte den marmornen Deckel des Sarkophags zu lüften, es gelang mir jedoch nicht. Abermals benutzte ich die Gabe des Geistes und half dann mit meinen kraftlosen Händen nach, bis ich ihn zur Seite schieben konnte. Wie seltsam, dachte ich, dass die Kraft der Gedanken stärker ist als die der Hände. Nach und nach gelang es mir, aus diesem kalten, prächtigen Grab zu steigen, das ich selbst geschaffen hatte, und nach langen Anstrengungen saß ich schließlich auf dem kalten Marmorboden. Ein wenig Licht sickerte zwischen den Rändern der oberen Tür hindurch und ließ die goldenen Wände glänzen. Ich

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