Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
litt Todesqualen und war schrecklich matt. Und ich fühlte Scham. Ich hatte mich für unverwundbar gehalten, und ach, wie war ich nun gedemütigt worden, wie war ich an der Mauer meines eigenen Stolzes zerschellt!
Das Hohngebrüll der Satansjünger fiel mir wieder ein und Amadeos Schreie. Wo war er nun, mein schöner Zögling? Ich lauschte, aber ich hörte nichts.
Wieder rief ich nach Raymond Gallant, mir der Sinnlosigkeit dessen bewusst. Ich stellte mir vor, wie er schon auf dem Weg nach England war. Ich rief seinen Namen so laut, dass es von den Wänden der goldenen Kammer widerhallte, aber ich konnte ihn nicht finden. Ich rief eigentlich nur, um mir selbst zu bestätigen, dass er schon zu weit entfernt war.
Und dann fiel mir meine liebste Bianca ein. Ich versuchte, sie wie letzte Nacht durch die Augen anderer Menschen wahrnehmen zu können. Ich ließ die Gabe des Geistes durch die eleganten Säle wandern. Meine Ohren fingen verspielte Melodien auf, und schon sah ich Biancas gewohnte Gäste. Sie tranken und redeten, als wäre mein Haus nicht zerstört worden, oder eher, als wüssten sie nichts davon und ich hätte nie zu ihnen gehört. Das Leben ging weiter, so, wie es weiterging, wenn ein Sterblicher verblichen war. Aber wo war Bianca?
»Ihr Gesicht, ich will es sehen«, flüsterte ich. Ich lenkte die Gabe des Geistes mit meiner Stimme. Doch Biancas Bild sah ich nicht. Ich schloss die Augen, was einen erlesenen Schmerz auslöste, und lauschte, und das Stimmengewirr der ganzen Stadt drang auf mich ein, und dann flehte ich die Gabe des Geistes geradezu an, mir Biancas Stimme, ihre Gedanken zu übermitteln! Nichts! Doch dann endlich fand ich sie. Sie war allein. Sie wartete auf mich, und niemand war in der Nähe, der sie hätte sehen oder mit ihr sprechen können. Deshalb hatte sich die Suche so schwierig gestaltet, aber nun konnte ich ihr endlich meinen Ruf entgegenschicken. Bianca, ich lebe. Ich sagte es schon, ich habe abscheuliche Verbrennungen. Du hast damals Amadeo gepflegt, könnte sich deine Güte nun auch auf mich erstrecken?
Kaum einen Augenblick später vernahm ich ein deutliches Flüstern: »Marius, ich höre dich. Du musst mich führen. Nichts kann mich schrecken. Ich werde deine verbrannte Haut pflegen, deine Wunden verbinden.«
Ach, es war so wunderbar tröstlich, aber was hatte ich da im Sinn? Was hatte ich vor?
Ja, sie würde kommen, sie würde mir neue Kleider bringen, unter denen ich mein zerstörtes Fleisch verbergen konnte, vielleicht auch einen Kapuzenumhang, um den Kopf zu verhüllen, ja, vielleicht sogar eine Larve wie für den Karneval, um mein Gesicht zu verdecken. Ja, das würde sie ganz bestimmt tun, aber was, wenn ich feststellte, dass ich in diesem elenden Zustand nicht jagen konnte? Und was, wenn es doch gelang und sich herausstellte, dass das Blut von ein oder zwei Sterblichen nicht reichte, weil die Verletzungen zu schwer waren?
Wie sollte ich auf diesen zarten Schatz bauen? Wie weit sollte ich sie in die Schrecknisse meines Zustandes hineinziehen? Wieder vernahm ich ihre Stimme.
»Marius«, flehte sie, »sag mir, wo du bist. Ich bin jetzt in deinem Haus. Es ist vieles zerstört, aber nicht alles. Ich warte in deinem ehemaligen Schlafraum auf dich. Ich habe Kleider für dich zusammengesucht. Kannst du herkommen?«
Ich ließ mir mit der Antwort lange Zeit, versuchte nicht einmal, sie zu trösten. Ich dachte intensiv nach, soweit man überhaupt nachdenken kann, wenn man derartige Schmerzen hat. Ich fürchtete, dass ich in dieser schrecklichen Not Verrat an Bianca üben könnte. Wenn sie es denn zuließ. Oder ich würde einfach ihre barmherzige Hilfe annehmen und sie dann verlassen, und sie bliebe mit einem Geheimnis allein zurück, das sie nie würde verstehen können. Der Verrat wäre der einfachere Weg. Die Alternative, nämlich auf ihre Barmherzigkeit zu bauen und ihr die Last des Geheimnisses aufzubürden, würde mich unglaubliche Selbstüberwindung kosten. Und ob ich die hatte, dessen war ich mir nicht sicher. Vor einem solch quälenden Dilemma hatte ich bisher nicht gestanden und konnte nicht abschätzen, wie ich mich verhalten würde. Ich erinnerte mich an den Eid, mit dem ich ihr ewige Sicherheit versprochen hatte, solange ich in Venedig war, und ich schauderte gequält vor dem Bild des mächtigen Wesens, das ich in jener Nacht noch gewesen war. Ja, ich hatte ihr für die Pflege, die sie Amadeo hatte angedeihen lassen, dafür, dass sie ihn bis zu meinem Kommen am Leben
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