Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
ich ihn einstecken konnte. Ich sah dem Mann in die grauen Augen.
»Warum lauft Ihr nicht vor mir davon?«, fragte ich. Ich war verbittert und hätte am liebsten geweint, aber das konnte ich hier nicht.
»Ihr seid in meiner Schuld«, sagte er leise. »Sagt mir, was Ihr seid, wenn auch nur, damit ich weiß, ob ich meine Seele verspielt habe, indem ich Euch half.«
»Ihr habt Eure Seele nicht verspielt«, beeilte ich mich zu sagen, mein ganzes Elend klang in meiner Stimme mit. »Ich habe nichts mit Eurer Seele zu schaffen.« Ich atmete tief ein. »Was habt Ihr Euch bei diesem Brief gedacht?«
»Ihr leidet wie ein Sterblicher, aber Ihr seid nicht sterblich«, sagte er. »Und der Mann in England, der ist sterblich, aber er hat vor Euch keine Angst.«
»Das stimmt«, sagte ich, »ich leide, und das, weil mir jemand Unrecht getan hat, und es gibt weder Rache noch Gerechtigkeit. Aber sprechen wir nicht davon. Ich möchte gern allein sein.« Schweigen senkte sich über uns. Es war Zeit zu gehen, doch mir fehlte einfach die Kraft.
Hatte ich ihm schon die übliche Börse gegeben? Das musste ich noch. Ich griff unter mein Gewand und zog sie hervor. Ich legte sie auf den Tisch und ließ die goldenen Münzen daraus hervorrollen, damit er sie im Kerzenlicht glänzen sähe. Ein undeutlicher, erregter Gedanke formte sich in meinem Kopf, der mit Amadeo zu tun hatte und mit dem glänzenden Gold und meinem großen Zorn und meinem übersprudelnden Rachegelüst Santino gegenüber. Ikonen mit goldenem Heiligenschein standen mir vor Augen, die goldene Medaille der Talamasca, die Goldflorine der Stadt Florenz.
Ich sah die goldenen Reife, die Pandora an ihren hübschen Armen trug. Ich sah die goldenen Reife, die ich über Akashas Arme streifte.
Gold, Gold, immer wieder Gold. Und Amadeo hatte Asche gewählt!
Gut, dachte ich, ich werde Pandora wiederfinden! Ich werde sie finden! Und nur, wenn sie mich verflucht, werde ich sie gehen lassen, werde ich sie bei diesem mysteriösen Gefährten bleiben lassen. Ach, ich bebte, als ich daran dachte, als ich Schwüre und unformulierte Gedanken vor mich hin flüsterte. Pandora, ja! Und eines Nachts würde die Abrechnung mit Santino kommen, für das, was er Amadeo angetan hatte! Die Stille breitete sich aus.
Der Priester neben mir hatte keine Angst. Ich fragte mich, ob er eine Vorstellung davon hatte, wie dankbar ich ihm war, dass er mich in dieser kostbaren Stille verweilen ließ. Schließlich fuhr ich mit den Fingern über die Goldmünzen.
»Reicht das für Blumen?«, fragte ich. »Blumen und Bäumchen und hübsche Pflanzen für eure Gärten?«
»Das reicht für Ewigkeiten«, sagte er.
»Ewig!«, antwortete ich. »Ich liebe das Wort ›ewig‹ so sehr.«
»Ja, es ist zeitlos«, meinte er, während er mich unter seinen erhobenen Brauen hinweg ansah. »Zu uns gehört die Zeit, aber ›ewig‹ gehört zu Gott, denkt Ihr nicht auch?«
»Ja«, stimmte ich zu. Ich drehte ihm mein Gesicht zu, lächelte ihn an und sah, dass dieses Wort sein Herz erwärmt hatte, als hätte ich die freundlichsten Worte gesprochen.
»Ihr wart gut zu mir«, sagte ich.
»Werdet Ihr Eurem Freund antworten?«, fragte er.
»Nicht von hier aus«, erklärte ich. »Es ist zu gefährlich für mich. Und ich bitte Euch, vergesst dies alles.«
Er lachte, ein ehrliches, schlichtes Lachen. »Vergessen!«, sagte er. Ich stand auf, um zu gehen. Dabei sagte ich: »Ihr hättet den Brief nicht lesen sollen. Ihr werdet Euch jetzt Sorgen machen.«
»Ich konnte nicht anders.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, warum«, entgegnete ich. Leise ging ich zur Tür des Skriptoriums. Er kam an meine Seite.
»Also geht Ihr nun, Marius?«, fragte er.
Ich drehte mich um und hob die Hand zu einem Abschiedsgruß.
»Ja, ich, weder Engel noch Teufel, weder gut noch schlecht«, sagte ich, »ich gehe. Und ich danke Euch.«
Wie schon einmal entfernte ich mich so schnell, dass er es nicht wahrnehmen konnte, und bald war ich allein mit den Sternen und schaute hinunter auf das Tal, wo allzu nah bei der Kapelle unten am Fuß des hohen Berggrates, der über tausend Jahre von Menschen unbeachtet geblieben war, die Anfänge einer Stadt entstanden.
29
I ch ließ viel Zeit verstreichen, ehe ich den Brief Bianca zeigte. Nicht, dass ich ihn vor ihr verborgen hätte, nein, das hätte ich für unehrlich gehalten. Aber da sie nicht fragte, was es mit den Blättern auf sich hatte, die ich bei meinen wenigen persönlichen Besitztümern
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