Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
weiß ich nicht, denn in jenem fatalen Augenblick war ich ebenso blind wie die anderen auch. Ich weiß nur, dass die, die die Königin tötete, nun den Urkern in sich trägt; wohin sie gegangen ist oder wie, das kann ich nicht sagen.«
»Ich sah die rothaarigen Zwillinge«, sagte Thorne, »sie standen neben dem Leichnam der Königin. ›Die Königin der Verdammten‹, sagte Maharet. Ich hörte die Worte. Ich sah Maharet, wie sie den Arm um ihre Schwester legte.« Marius schwieg.
Wieder merkte Thorne, wie er von Erregung ergriffen wurde. Er spürte, wie es in seinem Inneren zu schmerzen begann. In seiner Erinnerung sah er sie, die ihn geschaffen hatte, wie sie ihm durch den Schnee entgegenschritt. Welche Furcht hatte er damals empfunden, er, ein sterblicher Krieger, der Auge in Auge einer einsamen Hexe gegenüberstand, die er mit seinem Schwert oder seiner Axt hätte töten können. Wie zerbrechlich und schön sie ihm erschienen war, dieses hochgewachsene Geschöpf, in dunkelpurpurne Wolle gekleidet, das ihm die Arme wie zum Willkommen entgegengestreckt hatte.
Aber ich bin doch deinetwegen gekommen. Deinetwegen verweile ich hier. Er wollte ihrem Zauber nicht verfallen. Seinen Körper sollte man nicht, wie den vieler anderer, im Schnee niedergestreckt finden, mit aus den Höhlen gerissenen Augen.
Er wollte, dass die Erinnerung erlosch. Er sagte: »Sie, die Rothaarige, hat mich zum Bluttrinker gemacht. Maharet, die Schwester derjenigen, die den Heiligen Urkern in sich aufnahm.« Er brach ab. Er konnte kaum atmen, so sehr tobte der Schmerz in ihm. Marius sah ihn durchdringend an.
»Sie war hinauf in den Norden gekommen, um in meinem Volk einen Geliebten zu finden«, sagte Thorne. Er stockte, sein vorschnelles Urteil geriet ins Wanken. Aber dann fuhr er fort: »Sie machte Jagd auf unseren Klan und auch auf die anderen, die in dem Tal lebten. Und von allen ihren unglücklichen Opfern stahl sie die Augen.«
»Ihre Augen und ihr Blut«, sagte Marius leise. »Und als sie dich zum Bluttrinker machte, erfuhrst du, warum sie die Augen brauchte.«
»Ja, aber nicht die wahre Geschichte – nichts über die, die ihr, als sie noch sterblich war, das Augenlicht genommen hatte. Und von ihrer Zwillingsschwester wusste ich überhaupt nichts. Ich liebte sie über alles. Ich fragte nur wenig. Ich konnte es nicht ertragen, sie mit anderen zu teilen. Es machte mich rasend.«
»Die Böse Königin, sie war es, die ihr die Augen raubte«, sagte Marius, »und der Zwillingsschwester riss sie die Zunge heraus; Maharet war da noch ein Mensch. Das war eine grausame und ungerechte Tat. Und das konnte ein anderer, der ebenfalls Das Blut besaß, nicht ertragen, deshalb machte er die Zwillinge zu Bluttrinkern, noch ehe die Böse Königin sie trennte und die beiden in entgegengesetzte Teile der Welt verbannte.«
Bei dem Gedanken daran stöhnte Thorne auf. Er mühte sich um ein Gefühl der Liebe. Wieder sah er die, die ihn geschaffen hatte, mit Faden und Spindel in der hell erleuchteten Höhle stehen. Er sah das lange rote Haar vor sich.
»Und so endete sie«, sagte er, »die Katastrophe, die ich während meines Schlafs im Eis sah. Die Böse Königin ist dahin, hat ihre Strafe erhalten, und die Zwillinge nahmen den Heiligen Urkern in sich auf, ja; aber wenn ich die Welt nach ihrem Bild, ihrer Stimme durchforsche, kann ich keine der beiden finden. Ich höre nichts von ihnen, obwohl ich wissen möchte, wo sie sind.«
»Sie haben sich zurückgezogen«, erklärte Marius. »Sie wissen, dass sie sich verbergen müssen. Sie wissen, dass ihnen vielleicht jemand den Heiligen Urkern entreißen könnte. Jemand voller Bitternis, der mit der Welt abgeschlossen hat, könnte versuchen, uns alle zu vernichten.«
Thorne spürte, wie eisige Kälte in seine Glieder fuhr. Er wünschte sich plötzlich, dass er mehr Blut in den Adern hätte, dass er zum Jagen ausgehen könnte – aber er wollte dieses warme Zimmer, diesen Strom von Worten nicht verlassen. Nicht jetzt. Es war noch zu früh.
Er hatte Schuldgefühle, weil er Marius nicht die ganze Wahrheit über sein Leid und seine Absichten gesagt hatte. Er wusste nicht, ob er das konnte, und deshalb erschreckte ihn der Gedanke, weiter unter diesem Dach zu weilen.
»Ich kenne die Wahrheit«, sagte Marius sanft. »Du bist mit einem Schwur auf den Lippen aus deiner Höhle gekommen, nämlich, Maharet zu finden und ihr etwas anzutun.« Thorne zuckte zusammen, wie von einem Schlag getroffen. Aber er blieb stumm.
»Das
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