Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Erfindungen der Neuzeit dar wie eine heilige Gabe. Zuerst die Maschinen, die Musik wiedergeben, und dann die, die bewegte Bilder zeigen. Zuletzt brachte ich ihr die eindruckvollste, das Fernsehen, und ich ließ das Gerät permanent laufen. Ich stellte es in ihren Schrein, als brächte ich eine Opfergabe dar.«
»Und sie nährte sich davon«, sagte Thorne, »wie Götter es zu tun pflegen, wenn sie zu ihrem Altar hinabsteigen.«
»Ja, das tat sie. Sie nährte sich von den gewaltverseuchten Bildern, die das elektrische Gerät ihr übermittelte. Unheimliche Farben huschten über ihr Gesicht, Bilder drangen auf sie ein. Und ich frage mich manchmal, ob nicht allein schon die endlosen Gesprächsrunden aus aller Welt die Imitation eines denkenden Geistes in ihr entfesselt haben könnten.«
»Die Imitation eines denkenden Geistes?«
»Sie erwachte mit dem schlichten, hässlichen Streben: Sie wollte die Welt beherrschen.«
Marius schüttelte den Kopf. Seine ganze Haltung drückte Trauer aus. »Sie wollte die klügsten Köpfe der Welt überlisten«, erklärte er bekümmert. »Sie wollte den überwiegenden Teil der männlichen Kinder umbringen. Sie glaubte, sie könnte durch ein von Frauen regiertes Paradies Frieden schaffen und erhalten. Das war natürlich Unsinn – eine Idee, die in Blut und Gewalt ertrank. Und die unter uns, die versuchten, sie mit Vernunft zu überzeugen, mussten ihre Worte sehr sorgfältig wählen, damit sie sich nicht beleidigt fühlte. Woher hätte sie diese Ideen denn haben sollen, wenn nicht aus den Bruchstücken und Splittern der elektronischen Traumwelt, die vor ihren Augen über den riesigen Bildschirm flimmerte, den ich für sie besorgt hatte? Alle möglichen realitätsfernen Filme und das, was allgemein ›Nachrichten‹ genannt wird, all das war über sie hinweggespült. Und ich hatte diese Flut losgelassen…« Marius blickte Thorne scharf an, als er fortfuhr:
»Natürlich sah sie die grellen Musikvideos von ›Der Vampir Lestat‹.« Wieder lächelte Marius, aber es war ein trauriges Lächeln und erhellte sein Gesicht auf eine Weise, wie es vielleicht ein melancholisches Lied vermochte. »Und Lestat präsentierte ihr in seinen Videos ihr eigenes Bild, so, wie er sie zweihundert Jahre zuvor auf ihrem Thron hatte sitzen sehen. Er enttäuschte mein Vertrauen und gab die Geheimnisse preis, die ich ihm einst offenbart hatte.«
»Warum hast du ihn deswegen nicht vernichtet?« Thorne konnte die Frage nicht zurückhalten. »Das hätte ich jedenfalls getan.« Marius schüttelte nur den Kopf.
»Ich glaube, ich zog es vor, mich selbst zu vernichten«, sagte er, »ich ließ es stattdessen geschehen, dass mir das Herz brach.«
»Warum? Bitte erklär mir das.«
»Ich kann nicht, ich kann es mir nicht einmal selbst erklären«, sagte Marius. »Vielleicht verstehe ich Lestat nur zu gut. Er konnte dieses Schweigegelübde nicht ertragen, das er mir geleistet hatte. Nicht hier in dieser Welt voller Wunder, die du rings um dich siehst. Er fühlte einfach den Drang, unsere Vergangenheit zu enthüllen.« Hitze flammte auf Marius’ Gesicht. Seine Finger, die die Sessellehnen umklammert hielten, bewegten sich ein wenig unruhig, als er sagte: »Er durchtrennte alle Bande, die uns zusammenschweißten – Freund und Freund, Lehrmeister und Schüler, Alt und Jung, Beobachter und Suchender.«
»Eine Ungeheuerlichkeit«, sagte Thorne. »Da konntest du nur Wut empfinden!«
»Ja, tief im Herzen schon. Aber siehst du, ich belog sie, all die anderen Bluttrinker, unsere Brüder und Schwestern. Denn als die Königin sich erst einmal erhoben hatte, brauchten sie mich…«
»Ja«, sagte Thorne, »das sah ich.«
»Sie brauchten mich, den Weisen, der ihr Vernunft beibringen, sie von ihrem Kurs abbringen sollte. Zum Streiten war keine Zeit. Lestats Musik hatte ein Ungeheuer hervorgebracht – sie! Ich machte den anderen weis, dass ich mich nicht verletzt fühlte! Ich nahm Lestat in meine Arme. Und meine Königin? Ah, meine Königin, wie heftig ich leugnete, sie je geliebt zu haben! Und all das nur um der Gesellschaft einer kleinen Gruppe Unsterblicher willen.«
»Wie wurde sie vernichtet?«
»Vor Tausenden von Jahren war sie von einer, an der sie grausam gehandelt hatte, mit einem Fluch belegt worden, und diese eine kam nun, um die Rechnung zu begleichen. Ein einziger Hieb enthauptete unsere schöne Königin, und die Rächerin entnahm den Heiligen Urkern der Bluttrinker aus ihrem Körper – ob es Herz oder Hirn war,
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