Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
Status als der Weise, der Geduldige zu verlieren, wie ich schon sagte. Zorn bereitet mir zu großen Schmerz. Zorn ist so armselig. Ich kann ihn nicht ertragen. Ich kann nicht im Zorn handeln.«
»Warte einen Augenblick«, unterbrach ihn Thorne. »Was hast du gesagt?«
»Zorn ist so armselig«, wiederholte Marius. »Er bringt mir zu viele Nachteile. Ich kann ihn nicht ausleben. Ich kann ihn nicht für mich annehmen.«
Thorne bedeutete Marius mit einer Geste, still zu sein. Er lehnte sich nachdenklich zurück, und es war, als ob sich trotz des Feuers Kälte über ihn breitete.
»Zorn bedeutet Schwäche…«, flüsterte er. Die Vorstellung war neu für ihn. Für ihn waren Zorn und blinde Raserei immer verwandt gewesen. Und Raserei war etwas gewesen, was er dem Wüten Odins gleichsetzte. Man häufte Wut in sich an, ehe man in die Schlacht zog. Man hieß die Wut in seinem Herzen willkommen. Und in der Eishöhle hatte er es zugelassen, dass eine alte Wut ihn aufweckte.
»Zorn schwächt ebenso wie Furcht«, sagte Marius. »Könnten du oder ich denn Furcht ertragen?«
»Nein«, gab Thorne zu, »aber du sprichst von einer Regung in dir, die stark und feurig ist.«
»Ja, in mir ist etwas, das roh und wund ist, und ich ziehe allein umher, weigere mich, den zorngefüllten Kelch zu leeren, wähle das Schweigen anstelle zorniger Worte. Und in den Ländern des Nordens treffe ich auf dich, der du ein Fremder für mich bist, und dir kann ich mein Herz öffnen.«
»Ja, das kannst du«, sagte Thorne. »Ich werde dein Vertrauen nie missbrauchen, das verspreche ich. Ich werde keine billigen Lieder daraus machen. Um nichts in der Welt.« Er merkte, wie seine Stimme während dieser Worte kraftvoller wurde. Das kam daher, dass er es ehrlich meinte. »Was ist aus Lestat geworden? Warum schweigt er nun? Ich höre keine Lieder oder Sagen mehr von ihm.«
»Sagen, ja, die schrieb er, Sagen über unsere Art«, sagte Marius und lächelte abermals. »Er leidet unter eigenen schrecklichen Wunden. Er war bei Engeln oder bei Wesen, die behaupten, Engel zu sein, und sie haben ihn mit sich in den Himmel und in die Hölle genommen.«
»Und du glaubst das?«
»Ich weiß nicht. Ich kann dir nur das sagen: Während der Zeit, in der diese Geschöpfe ihn angeblich bei sich hatten, befand er sich nicht hier auf dieser Erde. Und als er zurückkam, brachte er einen blutigen Schleier mit, auf dem das wunderbare Abbild des Antlitzes Christi zu sehen war.«
»Du hast es gesehen?«
»Ja«, bestätigte Marius, »wie ich auch schon andere Reliquien gesehen habe. Diesen Schleier, dieses Schweißtuch, sehen und sich der Sonne ausliefern, um zu sterben, das war für unseren Druidenpriester Mael eins; so wäre er uns beinahe genommen worden.«
»Wieso starb Mael nicht?«, fragte Thorne. Als er diesen Namen aussprach, konnte er seine Gefühle nicht verbergen.
»Dafür war er zu alt«, erklärte Marius. »Er erlitt schwerste Verbrennungen und war ziemlich mitgenommen, wie es uns sehr Alten schon einmal widerfahren kann, und nach dem ersten Tag in der Sonne hatte er nicht den Mut, noch länger zu leiden. Er ging zurück zu seinen Gefährten, und da ist er jetzt noch.«
»Und du? Sagst du es mir jetzt aus ehrlichem Herzen? Verachtest du ihn wirklich für das, was er dir antat? Oder wendest du dich deshalb von ihm ab, weil du an zornigen Regungen keinen Geschmack findest?«
»Ich weiß nicht. Es gibt Zeiten, da kann ich Mael nicht einmal ins Gesicht sehen. Dann wieder möchte ich ihn um mich haben. Und es gibt Zeiten, da kann ich keinen anderen ertragen. Ich bin nur mit Daniel hierher gekommen. Daniel braucht immer jemanden, der sich um ihn kümmert. Das passt mir ganz gut. Daniel muss gar nicht mit mir reden. Seine Anwesenheit an sich genügt…«
»Ich verstehe dich«, sagte Thorne.
»Und versteh auch dies«, sagte Marius, »ich will weiterleben. Ich bin keiner, der den Tod durch die Sonne oder sonst eine Methode sucht, sich auszulöschen. Wenn du wirklich aus der Eiswüste gekommen bist, um Maharet zu töten, wenn du den Zorn ihrer Schwester auf dich ziehen willst…«
Thorne hob die rechte Hand und signalisierte Marius, einen Moment geduldig zu schweigen.
Dann sagte er: »Nein, so ist es nicht. Das waren Träume. Die sind hier, an diesem Ort, gestorben. Bis die Erinnerung stirbt, wird es etwas länger dauern.«
»Dann erinnere dich an ihre Schönheit und ihre Macht«, sagte Marius. »Ich fragte sie einmal, warum sie nie die Augen eines Bluttrinkers
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