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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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allerdings zog er einen Sessel dem Ruhebett vor. Danach nahm auch ich mir einen Sessel und bat Mael, sich zu meiner Rechten niederzulassen. Ich sah nun ganz deutlich, dass der größere der beiden Bluttrinker eindeutig stärkere Kräfte als Mael hatte. Er war um vieles älter. Älter auch als ich. Deshalb war er nach dem Schreckensfeuer wieder gesundet wenn das auch zugegebenermaßen schon zweihundert Jahre her war. Aber ich spürte keine Bedrohung durch dieses Geschöpf, und dann – ganz unerwartet, in der Tat sogar stumm – übermittelte er mir seinen Namen. »Avicus.«
    Mael betrachtete mich mit einem giftigen Blick. Er lehnte sich nicht zurück, sondern saß steif aufgerichtet und angespannt da, wie zum Einsatz der Fäuste bereit. Ich versuchte, seine Gedanken zu lesen, aber vergebens. Ich selbst glaubte eigentlich, meinen Hass und meine Wut meisterlich zu beherrschen, aber als ich den bangen Ausdruck auf Avicus’ Gesicht sah, dachte ich, dass ich mich da wohl irrte. Plötzlich sprach der fremde Bluttrinker.
    »Legt doch euren gegenseitigen Hass ab«, bat er auf Latein, wenn auch mit einem Akzent, »vielleicht kann eine Aussprache alles in Ordnung bringen.«
    Mael wartete erst gar nicht, ob ich dem zustimmte: »Wir brachten dich damals in den Hain, weil unser alter Gott es so verlangt hatte. Er hatte schwere Verbrennungen und war dem Tode nahe, aber er wollte uns nicht sagen, wieso. Er wollte, dass du nach Ägypten gingest, und auch dafür wollte er uns den Grund nicht nennen. ›Es muss ein neuer Gott her‹, sagte er, und auch das ohne jede Begründung.«
    »Beruhige dich«, forderte Avicus ihn sanft auf, »damit du deine innersten Empfindungen besser formulieren kannst.« Selbst in seinen Lumpen wirkte er würdevoll, und man konnte ihm ansehen, dass er neugierig auf unsere Worte war.
    Mael umklammerte die Armlehnen des Stuhls und funkelte mich an, das lange blonde Haar fiel über sein Gesicht.
    »›Bringt einen makellosen Mann für den Zauber, den der alte Gott übt.‹ Und das stimmte, denn so hieß es in den alten Sagen. Wenn der alte Gott schwach wurde, musste ein neuer her. Und nur ein makelloser Mann darf dem sterbenden Gott in der Eiche für den Zauber übergeben werden.«
    »Und so fandet ihr also einen Römer«, sagte ich, »in der Blüte seines Lebens, glücklich und reich, und verschlepptet ihn gegen seinen Willen. Gab es unter euren eigenen Leuten keinen geeigneten Mann für eure Religion? Warum musstet ihr euch gerade mich für euren elenden Glauben aussuchen?«
    Mael zögerte nicht im Geringsten, sondern fuhr ungebremst fort: »›Bringt mir jemanden, der geeignet ist‹«, sagte der Gott, »jemanden, der die Sprachen aller Länder des Reiches beherrscht.‹ So ermahnte er uns. Weißt du, wie lange wir nach einem Mann wie dir suchen mussten?«
    »Soll ich dich etwa bemitleiden?«, fragte ich törichterweise mit scharfer Stimme.
    Er fuhr fort: »Wir brachten dich zu der Eiche, wie befohlen. Als du dann wieder herauskamst, um dem großen Opferfest vorzusitzen, sahen wir, dass er dich zu einem prachtvollen Gott gemacht hatte, dessen Haar schimmerte und dessen leuchtende Augen uns Furcht einflößten.
    Und ohne ein Wort des Protestes hobst du die Arme, sodass das hohe Fest Sanhaim beginnen konnte. Du trankst das Blut der Opfer, die wir dir übergaben. Wir sahen, wie du trankst! Der Zauber war in dir wiedererstanden. Wir dachten, nun würde das Glück uns hold sein, und es war Zeit, den alten Gott den Flammen zu übergeben, wie unsere alten Sagen es uns befahlen. Und dann ergriffst du die Flucht!«
    Er sank in den Sessel zurück, als hätte diese lange Rede ihm alle Kraft genommen.
    »Du kamst nicht zurück«, sagte er angewidert. »Du kanntest unsere Geheimnisse; aber du kamst nicht zurück.« Schweigen senkte sich über uns.
    Sie beide wussten nichts von Der Mutter und Dem Vater. Sie wussten nichts von den alten ägyptischen Überlieferungen. Ich war einen Moment lang so erleichtert, dass ich nichts sagen konnte. Ich fühlte mich ruhiger und beherrschter denn je. Eigentlich schien es mir nun ziemlich absurd, dass wir hier stritten, denn, wie Avicus gesagt hatte – wir waren unsterblich.
    Aber wir waren auch immer noch Menschen, jeder auf seine Weise.
    Endlich merkte ich, dass Mael mich ansah, und in seinen Augen stand immer noch die Wut. Er sah bleich aus, hungrig, wild. Aber alle beide warteten sie darauf, dass ich etwas sagte oder tat, und so schien es, dass mir diese Last überlassen blieb.

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