Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
sang, fiel mir auf, welch verrückten Eindruck dieses Haus machen musste. Denn inzwischen aßen und tranken überall Leute, und der Herr des Hauses stand da in seiner langen Tunika und bedeckte eine Wand mit Gemälden, einer Arbeit, die sich für Künstler oder Handwerker schickte, aber nicht für Patrizier. Und es schien keine geziemenden Grenzen zu geben. Ich musste über diese Absurdität lachen. Einer der jüngeren Gäste staunte über mein Talent. »Marius, du hast nie etwas davon gesagt. Wir hatten keine Ahnung.«
»Ich auch nicht«, sagte ich teilnahmslos, während ich mein Werk fortsetzte und die weiße Farbe des Untergrundes unter meinen Pinselstrichen verschwinden sah.
Monatelang malte ich ohne Unterlass, nahm mir sogar den Speisesaal vor, wo die Gäste mich bei meiner Arbeit anfeuerten. Was ich auch vollbrachte, nie gefiel es mir, und sie erstaunte es ganz gewiss nicht.
Sie fanden es amüsant und exzentrisch, dass ein reicher Mann seine eigenen Wände schmückte. Und die vielen trunkenen Ratschläge, die mir zuteil wurden, brachten mich auch nicht weiter. Die gelehrten Männer kannten die Mythen, die ich skizzierte, und erfreuten sich daran, und die Jüngeren versuchten, mich in Diskussionen zu verwickeln, denen ich mich aber entzog. Am liebsten malte ich den großen Garten, und zwar ohne einen abgrenzenden Rahmen, sodass er sich mit seinen tanzenden Gestalten und sich neigenden Lorbeerbüschen unmittelbar in die reale Welt fortsetzte. Es war der mir altvertraute Garten. Denn ich stellte mir vor, dass ich im Geiste in ihn entkommen könnte. Während dieser Phase ging ich nicht das Risiko ein, die Kapelle zu betreuen. Lieber malte ich die Wände meines Hauses aus. Derweil verschwanden die Götter, die ich hier noch malte, sehr schnell aus dem römischen Tempeln. Konstantin hatte, ich weiß nicht mehr, wann, das Christentum zur Staatsreligion des Reiches erhoben, und nun waren die Heiden diejenigen, die ihren Gottesdienst nicht mehr frei ausüben durften.
Ich glaube nicht, dass Konstantin selbst je dazu neigte, jemandem eine Religion aufzuzwingen. Aber letztendlich lief es darauf hinaus.
Und so malte ich den armen alten Bacchus, den Gott des Weines, mit seinen fröhlichen Begleitern und den klugen Apollo, der die schöne, verzweifelte Daphne hetzte, die sich lieber in einen Lorbeerbaum verwandelte, als sich von dem Gott schänden zu lassen. Ich malte und malte, frohgemut, in sterblicher Gesellschaft, und dachte: Mael, Avicus, bitte sucht nicht in meinem Geist nach Geheimnissen.
Ich hörte sie immerfort ganz in meiner Nähe. Meine Feste mit den Sterblichen waren ihnen rätselhaft und ängstigten sie. Nacht für Nacht hörte ich, wie sie sich meinem Haus näherten und dann wieder fortgingen.
Endlich kam das Unvermeidliche. Sie standen an meiner Pforte. Mael war dafür, sofort ohne Erlaubnis einzutreten, und Avicus hielt ihn zurück, während er mir kraft seiner Gedanken die Bitte übermittelte, sie beide abermals einzulassen. Ich war in der Bibliothek, malte zum dritten Mal die Wände über, und, den Göttern sei Dank, dieses Mal war das Gelage nicht bis in diesen Raum geschwappt. Ich legte den Pinsel nieder. Ich starrte das unvollendete Werk an. Wieder einmal schien eine Pandora aus der unfertigen Figur der Daphne hervorgegangen zu sein, und die Tatsache, dass Daphne sich ihrem Liebhaber entzogen hatte, rührte an eine tragische Saite in meinem Herzen. Was war ich doch für ein Narr gewesen, mich vor meiner Liebsten davonzustehlen. Doch für eine ganze Weile betrachtete ich in selbstgerechter Milde das, was ich gemalt hatte – dieses überirdische Wesen mit dem wellengleich herabfließenden braunen Haar. Du verstandest meine Seele, dachte ich, und andere kommen nun, nur um mein tiefstes Selbst seines ganzen Schatzes zu berauben. Was soll ich tun? Wir stritten, du und ich, ja, aber mit liebevollem gegenseitigem Respekt, nicht wahr? Ich kann ohne dich nicht weiterleben. Bitte komm zu mir, wo auch immer du bist. Aber es war jetzt nicht der Moment für Abgeschiedenheit, die mir plötzlich recht kostbar schien, soviel davon ich auch in den letzten Jahren genossen hatte. Ich verschloss die Bibliothek vor meinen fröhlichen menschlichen Gästen, und dann ließ ich die beiden Bluttrinker stumm wissen, dass sie eintreten durften. Beide waren reich gekleidet, und ihre Schwerter und Dolche waren mit Juwelen übersät. Ihre Umhänge wurden an der Schulter mit kostbaren Spangen gehalten, und selbst ihre Sandalen
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