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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schmerz!«
    »Aber wer ist sie, und was ist sie?«, drängte Mael. In dieser verhängnisvollen Sekunde entschied ich mich. Zorn brachte mich dahin, und vielleicht war es der falsche Weg.
    »Sie ist die Erste unserer Art«, sagte ich mit kalter Wut. »So lautet die alte Sage. Sie und ihr Gemahl oder König, sie sind die Göttlichen Eltern. Und das ist alles!«
    »Und du hast sie gesehen«, sagte Mael, als ob nichts ihn von seiner erbarmungslosen Fragerei abbringen könnte.
    »Es gibt sie; sie sind an einem sicheren Ort«, sagte ich. »Hör auf Avicus. Was hatte man ihm gesagt?«
    Avicus versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Er forschte in seinem Gedächtnis, bis er auf sein Zeitalter stieß. Endlich sprach er, immer noch in dem respektvollen, höflichen Tonfall von vorher.
    »In den beiden liegt der Same, aus dem wir alle entspringen!«, antwortete er. »Deshalb dürfen sie nicht vernichtet werden, denn wir würden sonst mit ihnen sterben. Verstehst du nicht?« Er sah Mael an. »Ich kenne nun den Grund für das Schreckensfeuer. Jemand, der uns alle vernichten wollte, legte Feuer an Die Eltern oder setzte sie der Sonne aus.«
    Ich war völlig geschlagen. Er hatte eines der kostbarsten Geheimnisse enthüllt. Kannte er wohl auch die anderen? Ich saß in mürrisches Schweigen gehüllt.
    Er erhob sich von seinem Stuhl und begann, von seinen Erinnerungen angefeuert im Raum hin und her zu schreiten.
    »Wie lange waren sie wohl dem Feuer ausgesetzt? Oder war es nur für die Dauer eines Wüstentages?« Er wandte sich mir zu. »Sie waren weiß wie Marmor, als ich sie sah. ›Dies ist die Göttliche Mutter‹, so sagte man zu mir. Meine Lippen streiften ihren Fuß. Der Priester drückte mir seine Ferse in den Nacken. Als das Schreckensfeuer über uns kam, saß ich schon so lange in der Eiche, dass ich mich an nichts mehr erinnern konnte. Ich hatte meine Erinnerung mit voller Absicht abgetötet. Ich hatte mein Zeitgefühl abgetötet. Ich lebte für das monatlich stattfindende Blutopfer und für das jährliche Sanhaim-Fest. Ich schmachtete und träumte, wie mir aufgegeben war. Meine Lebensgeister erwachten an Sanhaim, wenn ich über die Bösewichte urteilte, wenn ich in die Herzen der Angeklagten blickte und sie für schuldig oder unschuldig befand.
    Aber jetzt – jetzt erinnere ich mich. Ich erinnere mich daran, dass ich sie sah – Die Mutter und Den Vater –, denn ich sah sie beide, ehe man meine Lippen auf ihre Füße presste. Wie kalt sie war! Wie entsetzlich es war! Ich wollte nicht. Ich war voller Zorn und Furcht. Und es war eines tapferen Mannes Furcht.« Ich zuckte bei seinen letzten Worten zusammen. Ich wusste, was er meinte. Was fühlt wohl ein tapferer General, wenn er weiß, dass sich das Schlachtenglück gegen ihn gewendet hat und ihm nur der Tod bleibt?
    Mael schaute mit kummervollem, mitfühlendem Blick zu Avicus auf. Aber Avicus war noch nicht fertig. Nur seine Erinnerungen vor Augen, schritt er weiter im Zimmer auf und ab, und sein dichtes schwarzes Haar fiel ihm übers Gesicht, als er unter der Last der Erinnerungen den Kopf senkte.
    Seine schwarzen Augen glänzten im Licht der zahlreichen Lampen. Aber sein Gesicht war der beste Spiegel seiner Gefühle. »War es die Sonne, oder war es ein schreckliches Feuer?«, fragte er. »Versuchte jemand, sie zu verbrennen? Glaubte jemand, das wäre möglich? Ach, es ist so einfach! Ich hätte mich erinnern müssen. Aber das Gedächtnis lässt uns nur zu gerne im Stich. Es weiß, dass wir die Flut der Erinnerungen nicht ertragen könnten. Ach, hör dir doch die Sterblichen an, wenn sie alt sind und ihnen nichts geblieben ist als die Erinnerungen an ihre Kindheit. Immer wieder halten sie ihre Verwandten und Bekannten für Leute, die längst gestorben sind, und niemand hört ihnen mehr zu. Wie oft ich ihnen in ihrem elenden Zustand heimlich gelauscht habe! Oft genug habe ich mich darüber gewundert, wie sie in leeren Zimmern lange Unterhaltungen mit Geistern führen.« Ich sagte immer noch nichts. Aber endlich schaute er mich an und fragte:
    »Du sahst sie, Den König und Die Königin. Du weißt, wo sie sind?« Ich ließ geraume Zeit verstreichen, ehe ich antwortete. Und dann sagte ich einfach: »Ich sah sie, ja. Und ihr müsst mir vertrauen, wenn ich sage, dass sie sicher verwahrt sind und dass ihr den Ort gar nicht wissen wollt.« Ich betrachtete die beiden eindringlich. »Wenn ihr es wüsstest, kämen vielleicht eines Nachts andere Bluttrinker, nähmen euch gefangen und

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