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Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold

Titel: Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Trunkenheit hin. Keiner von ihnen verdächtigte uns, etwas anderes zu sein als drei überaus exzentrische, steinreiche Menschen. Ich belauschte sie sogar manchmal heimlich, wenn sie ihre Vorstellungen über uns vom Stapel ließen – dass wir der Zauberkräfte kundige Weise aus dem Morgenland wären, wie einstmals die drei Könige, die mit Gaben zu dem Christuskind gekommen waren – und das amüsierte mich enorm.
    Unser einziges wirkliches Problem war ziemlich absurd. Wir mussten uns zwangsläufig Mahlzeiten servieren lassen, und dann entsorgten wir die Speisen durch die Fenster unserer Kabine direkt ins Meer. Das erzeugte unbändige Heiterkeit bei uns, dennoch fand ich es entwürdigend.
    In regelmäßigen Abständen verbrachten wir eine Nacht an Land, um zu jagen. Die Zahl unserer Jahre hatte uns darin sehr geschickt werden lassen. Wir hätten zwar ebenso die ganze Reise über darben können, aber wir wollten nicht. Was nun die Kameradschaft an Bord betraf, machte ich sehr interessante Erfahrungen.
    Ich lebte hier enger mit Sterblichen zusammen als je zuvor. Ich unterhielt mich regelmäßig mit dem Kapitän und den Söldnern. Und ich stellte fest, dass ich das sehr genoss, und war sehr erleichtert darüber, dass es trotz meiner bleichen Haut so einfach war.
    Ich fühlte mich sehr zu unserem Kapitän hingezogen. Ich lauschte gerne, wenn er von seiner Jugend erzählte, die er auf Handelsschiffen im gesamten Mittelmeer verbracht hatte, und er erheiterte mich mit Beschreibungen der Häfen, die er besucht hatte; manche davon kannte ich aus vergangenen Jahrhunderten, andere waren mir fremd.
    Wenn ich Clemens’ Erzählungen lauschte, fiel die Traurigkeit von mir ab. Ich sah die Welt durch seine Augen, und ich erfuhr von seinen Hoffnungen. Ich freute mich schon darauf, in Konstantinopel ein geselliges Haus zu führen, wo er mir freundschaftliche Besuche abstatten konnte.
    Noch eine große Veränderung hatte sich ergeben. Ich war nun unzweifelhaft ein vertrauter Gefährte für beide, Avicus und Mael. Viele Nächte verbrachten wir in der Kabine über gefüllten Weinkelchen, nur wir drei, und sprachen über die Ereignisse in Italien und auch über andere Dinge.
    Wie ich mir schon immer gedacht hatte, besaß Avicus einen scharfen Geist, begierig, zu lernen und zu lesen; er hatte sich im Laufe der Jahrhunderte Latein und Griechisch beigebracht. Aber vieles, was meine Welt und ihre Verehrung der alten Götter betraf, war ihm unverständlich. Er hatte geschichtliche Schriften von Tacitus und Livius mitgenommen, und auch die Wahren Geschichten des Lucian und die in Griechisch verfassten Biographien von Plutarch; aber das letztere Werk überstieg seinen Horizont. Ich verbrachte viele glückliche Stunden damit, ihm vorzulesen, und er hing an den Worten, wenn ich ihm erläuterte, wie man den Text interpretieren könnte. Ich sah, dass er Wissen aufsog wie ein Schwamm. Er wollte die Welt verstehen.
    Mael teilte diese geistige Haltung nicht, aber er stand ihr wenigstens nicht mehr ablehnend gegenüber wie in den vergangenen Zeiten. Er hörte zu, wenn wir diskutierten, und vielleicht profitierte er sogar ein wenig davon. Es war klar ersichtlich, dass die beiden als Bluttrinker überlebt hatten, weil sie einander hatten. Aber Mael fürchtete mich nicht länger.
    Was mich betraf, so genoss ich die Rolle des Lehrers, und es erzeugte ein ganz neues Gefühl der Freude in mir, wenn ich mit Plutarch diskutierte und Tacitus kommentierte, als wären diese beiden persönlich im Zimmer zugegen.
    Avicus und Mael waren beide in letzter Zeit bleicher und auch stärker geworden. Und beide gaben zu, dass sie dann und wann die drohende Verzweiflung gespürt hatten. Ohne Feindseligkeit sagte Mael: »Dich zu sehen, wie du schlafend im Schrein lagst, das hat mich davon abgehalten, mich in irgendeinen tiefen Keller zu verziehen und mich ebenfalls dem Schlummer zu ergeben. Ich hatte das Gefühl, ich würde dann nie wieder daraus erwachen, und zudem hielt mich Avicus, mein Gefährte, davon ab.«
    Und als Avicus der Welt überdrüssig war und nicht weiterleben wollte, hatte Mael ihn seinerseits von dem fatalen Schlaf abgehalten.
    Sie beide hatten angesichts meines Zustandes schlimme Qualen ausgestanden, und während der langen Jahrzehnte, in denen ich taub für ihre Bitten in dem Schrein lag, hatten sie sich vor dem hehren Paar so sehr gefürchtet, dass sie ihnen weder Blumen gebracht noch Weihrauch für sie verbrannt oder sich sonst um den Schrein gekümmert

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