Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
etwas Abstoßendes. Als ich mich hineinschlich und darin umherging, die Thronsäle, die Audienzsäle, die prächtigen Kapellen und riesigen Speisesäle und Schlafgemächer betrachtete, hatte ich die dekadente Lebensart Persiens vor Augen, auch wenn ich niemand etwas Derartiges unterstellen wollte; trotzdem fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut.
Die unzähligen Einwohner, sosehr sie dem Leben auch zugetan waren, neigten dazu, sich auf den Straßen zu prügeln oder selbst in den Kirchen Krawalle zu veranstalten und einander umzubringen, sei es wegen eines Wagenrennens im Hippodrom oder wegen religiöser Angelegenheiten. Und in der Tat grenzten die endlosen Streitereien um Fragen der Religion schon an puren Wahnsinn. Das Reich befand sich aufgrund unterschiedlicher religiöser Lehrmeinungen ohnehin permanent in Bewegung. Die Grenzen des Reiches waren weiterhin bedroht, wie zu den Zeiten der Cäsaren. Die Perser bestürmten die östlichen Grenzen ohne Unterlass, und im Westen drängten die Barbaren in einem endlosen Strom ins Reich.
Obwohl mir seit langer Zeit das Heil des Imperiums am Herzen lag, konnte mir diese Stadt keinen Trost schenken. Ich empfand nur Misstrauen und gründliche Abneigung. Ich besuchte jedoch häufig die Hagia Sophia und bewunderte die riesige Kuppel, die weit oben fast zu schweben schien. Ich konnte es nicht erklären, doch in dieser erhabenen Kirche war etwas zu spüren, was auch den stolzesten Geist zur Demut zwang. Avicus und Mael waren in ihrer neuen Heimat recht glücklich. Beide hatten mich mit Entschiedenheit zu ihrem Führer auserkoren, und wenn ich am Abend zum Marktplatz ging, um nach neuen Büchern Ausschau zu halten, begleitete Avicus mich voller Begeisterung, und ebenso eifrig war ich darauf bedacht, dass ich ihm aus meinen Funden vorlas.
Ich stattete das Haus behaglich aus und bestellte Handwerker, die die Wände ausschmücken sollten, denn ich wollte mich nicht wieder in meinen selbst gemalten Gärten verlieren. Wenn ich an Pandora dachte, spürte ich stärkere Seelenqualen als je zuvor. Pandora – sie fehlte mir so sehr, und ich begab mich tatsächlich auf die Suche nach ihr. Ich erzählte Avicus und Mael das eine oder andere aus unserer gemeinsamen Zeit – harmlose, unwichtige kleine Begebenheiten –, aber vor allem, wie sehr ich sie geliebt hatte, damit sich die beiden zumindest einige Bilder von ihr einprägten.
Sollte Pandora nun wirklich einmal durch diese Straßen streifen und vielleicht meinen Gefährten begegnen, so könnte sie aus deren Gedanken ablesen, dass ich hier war und verzweifelt nach unserer Wiedervereinigung verlangte.
Ich begann unverzüglich, mir eine Bibliothek aufzubauen, kaufte Schriftrollen körbeweise und studierte sie, wann immer ich Zeit hatte. Ich erwarb einen eleganten Schreibtisch und begann ein ausgesprochen sachlich gehaltenes Tagebuch über meine Unternehmungen zu führen, wofür ich die gewohnte, von mir erfundene Verschlüsselung benutzte.
Wir waren noch keine sechs Monate in Konstantinopel, als wir gewahr wurden, dass sich andere Bluttrinker in der Nähe unseres Hauses herumtrieben. Wir hörten sie immer frühmorgens. Sie kamen offensichtlich, um mit der Gabe des Geistes so viel wie möglich von uns aufzufangen, und dann eilten sie fort.
»Wieso haben sie sich so lange Zeit gelassen?«, fragte ich. »Sie haben uns beobachtet und gründlich studiert.«
»Vielleicht sind sie ja der Grund, weshalb es hier keine Teufelsanbeter gibt«, mutmaßte Avicus.
Das mochte stimmen, denn die, die uns jetzt ausspionierten, waren keine Teufelsjünger. Das wussten wir von den bruchstückhaften Bildern, die wir hier und da aus ihren Gedanken auffangen konnten. Schließlich kamen sie eines frühen Abends und machten uns höflich, aber unmissverständlich klar, dass wir mit ihnen kommen und ihrer Herrin einen Besuch abstatten sollten. Ich trat zur Begrüßung vor die Tür und stellte fest, dass sie zu zweit waren, zwei bleiche, schöne Knaben. Sie konnten nicht älter als dreizehn gewesen sein, als man sie zu Bluttrinkern gemacht hatte, und sie hatten sehr klare dunkle Augen und kurzes schwarzes Kraushaar. Sie waren in orientalische Gewänder aus feinstem Tuch gekleidet, die mit roten und goldenen Fransen besetzt waren. Die Untertuniken waren aus Seide, dazu trugen sie prächtige weiche Schuhe und viele juwelenbesetzte Ringe.
Begleitet wurden sie von zwei sterblichen Fackelträgern, anscheinend persische Sklaven, teuer, aber schlichten Gemütes.
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