Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Bleischüsseln, in denen irgendwelche abstoßenden Überreste klebten, die einen so widerwärtigen Geruch verströmten, dass er sogar im allgemeinen Gestank der Krypta noch deutlich zu riechen war. Als er ungefähr die Hälfte der gesamten Mauerumrundung abgesucht hatte, stieß er auf einen weiteren Korridor mit vielen Türöffnungen, der dem ähnelte, aus dem er gekommen war. Er machte sich daran, auch diese zu untersuchen, und nachdem er drei Räume mittlerer Größe ohne bedeutsamen Inhalt betreten hatte, gelangte er endlich in einen großen, lang gezogenen Raum, der sich durch die Kanister und Tische, Brennöfen und modernen Instrumente, eine Reihe von Büchern und endlosen Fächern voller Krüge und Flaschen tatsächlich als Charles Wards lange gesuchtes Laboratorium herausstellte – und zweifellos hatte es zuvor Joseph Curwen benutzt.
Nachdem Dr. Willett die drei gefüllten Lampen, die er hier vorfand, angezündet hatte, untersuchte er den Raum und seine Einrichtung mit dem allergrößten Interesse. Anhand der großen Menge verschiedener Reagenzien auf den Regalen schloss er, dass das Hauptinteresse des jungen Ward auf einem Teilgebiet der organischen Chemie gelegen haben musste. Insgesamt aber ließ sich aus dem wissenschaftlichen Arrangement, zu dem auch ein grausig aussehender Seziertisch zählte, nur wenig in Erfahrung bringen, und so erwies der Raum sich als eine Enttäuschung. Zu den Büchern gehörte eine zerlesene alte Ausgabe des Borellus in Frakturschrift, und es war ebenso beklemmend wie interessant, dass Ward denselben Abschnitt unterstrichen hatte, dessen Hervorhebung über anderthalb Jahrhunderte zuvor den guten Mr. Merritt in Curwens Farmhaus so verstört hatte. Diese alte Ausgabe war damals bei der Erstürmung der Farm sicherlich mit Curwens restlicher okkulter Bibliothek vernichtet worden.
Drei Bogengänge führten aus dem Labor und der Arzt erkundete sie der Reihe nach. Bei seiner flüchtigen Musterung sah er, dass zwei davon wiederum in zwei kleine Abstellräume führten. Diese Räume durchsuchte er gründlich und staunte über die vielen, aufgestapelten Särge in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Als er einige der wenigen Namensplaketten entzifferte, vermochte er ein heftiges Frösteln nicht zu verhindern. Auch in diesen Nebenräumen lagerten große Mengen Bekleidung, zudem einige neuere, fest vernagelte Kisten, mit denen er sich jetzt nicht weiter aufhielt. Am interessantesten waren sicherlich ein paar sonderbare Apparaturen, die er als Überreste des alten Labors von Joseph Curwen einordnete. Sie waren offenbar von den eindringenden Männern zerstört worden, doch zum Teil noch als Chemikerausrüstung der georgianischen Ära zu erkennen.
Der dritte Bogengang führte zu einem ziemlich großen Raum, dessen Wände komplett mit Regalen zugestellt waren und in dessen Mitte ein Tisch mit zwei Lampen stand. Willett zündete sie an, und in ihrem hellen Schein betrachtete er die endlosen Regalfächer, die ihn umgaben. Einige der oberen Bretter waren leer, doch der Großteil der Regale war angefüllt von kleinen, merkwürdig aussehenden Bleiglasgefäßen in zwei unterschiedlichen Formen: eine hoch und ohne Henkel, wie ein altgriechischer Lekythos oder Ölkrug, die andere mit einem Henkel, in der Art eines Kruges aus Phaleron. Alle waren mit Metallverschlüssen gesichert, in die man befremdliche Symbole gekratzt hatte. Der Arzt erkannte sofort, dass diese Gefäße mit großer Sorgfalt beschriftet und angeordnet worden waren; die ohne Henkel standen alle auf einer Seite des Raumes in den Regalen mit der Aufschrift ›Custodes‹ auf einem Holzschild, während die Phalerongefäße auf der anderen Seite mit der Bezeichnung ›Materia‹ versehen waren.
Bis auf einige Gefäße in den oberen Fächern, die leer waren, trug jedes von ihnen einen angehängten Zettel mit einer Nummer, die sich anscheinend auf einen Katalog bezog; Willett fasste den Entschluss, diesen alsbald zu suchen. Im Augenblick jedoch interessierte ihn mehr das System des Ganzen, und er öffnete versuchsweise mehrere der unterschiedlichen Behälter, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, doch das Ergebnis war immer dasselbe. Beide Gefäßtypen enthielten eine kleine Menge feines, staubartiges Pulver von sehr geringem Gewicht in trüben, unbestimmten Farbschattierungen. Diese Farben boten die einzige Unterscheidungsmöglichkeit, doch sie waren nicht die Grundlage der Anordnung, ebenso wenig unterschied sich der
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