Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Tales werden solche Anspielungen verständlich gewesen sein. Bran (eigentlich Bran Mak Morn) ist der Held eines Zyklus von Erzählungen, die Howard um einen piktischen Kriegerfürsten aus der Zeit der Besetzung Großbritanniens durch die Römer geschrieben hat (die beste dieser Geschichten ist wohl ›Worms of the Earth‹, Weird Tales, November 1932, aber der Zyklus umfasst insgesamt sieben Texte). Das »Magnum Innominandum« schließlich (das »Große Unnennbare«) hat Lovecraft in seiner Kurzgeschichte ›The Unnameable‹ thematisiert.
Wenn wir solche mythologischen Passagen analysieren, enthüllen sie sich als ein subtiles Insiderspiel, ein augenzwinkerndes Binnenspiel zwischen Texten, in das der Leser mit hineingezogen wird und durch das er sozusagen zum Mitwisser eines »verbotenen Wissens« wird. Der atlantische Hohepriester Klarkash-Ton ist natürlich kein anderer als der Schriftsteller Clark Ashton Smith (1893–1961), mit dem Lovecraft seit 1922 im Briefverkehr stand. Anderes bleibt rätselhaft. Shub-Niggurath, die schwarze Ziege der Wälder – wie gerne wüssten wir mehr über sie. Auffällig und in der Tat einzigartig in Lovecrafts Werk ist das Ausmaß, in dem auf die Kreationen anderer Autoren angespielt wird. Die »Hunde des Tindalos« z. B. sind der Gegenstand einer Kurzgeschichte von Frank B. Long (›The Hounds of Tindalos‹, Weird Tales März 1929). Der mysteriöse Stein mit unerklärlichen Hieroglyphen, den Akeley in den Bergen findet, erinnert an den Stein Ixaxar, der so prominent in Arthur Machens ›The Novel of the Black Seal‹ figuriert (in dem Novellenzyklus The Three Impostors von 1895). Die Krustazeen vom Yuggoth werden mit allerlei mythischen Wesen identifiziert, so dem tibetischen Mi-Go, den wir eher unter seinem nepalesischen Namen Yeti kennen (das Wort Mi-go ist aber korrektes Tibetisch), und den neugriechischen Kallikanzarai, Naturgeistern genuiner Folklore. Auch Arthur Machens »Little People« werden in diesem Kontext erwähnt.
Ein interessantes Problem ist Lovecrafts Hinweis auf lokale, insbesondere Indianersagen. Grob gesagt war Lovecraft kein besonderer Kenner indianischer Überlieferungen; engeren Kontakt mit Überlebenden indianischer Kultur hat er offenbar niemals gehabt. Die »seltene Studie« von Eli Davenport, die mehrfach in Lovecrafts Text genannt wird und Material von »vor 1839« (offenbar dem Publikationsjahr) vereint, scheint fiktiv zu sein, jedenfalls taucht sie in keinem mir bekannten amerikanischen Katalog auf. Die Annalen des Spiritismus und des Bühnenillusionismus kennen um 1860/70 ein berühmtes Brüderpaar Davenport (Ira Erastus, 1839–1877 und William Henry, 1841–1911), Söhne eines Polizeibeamten aus Buffalo, New York, zu denen aber schwerlich ein Bezug besteht. Völlig unmöglich ist es aber nicht, dass eine Sammlung von regionalen Sagen (möglicherweise als Privatdruck von einem Schullehrer) noch einmal auftaucht, eventuell auch in einer alten Zeitung. Lovecrafts Rezeption indianischer Überlieferungen insgesamt ist ein noch wenig erforschtes Gebiet, auf dem vielleicht noch größere Entdeckungen möglich sind. Was hat es etwa mit jenen Sagen des Pennacook-Stammes über das Sternbild des Großen Bären auf sich? Indianische Sternsagen erzählen meist davon, wie bestimmte astrale Konstellationen entstanden seien bzw. wie sich die Taten des Kulturheros im gestirnten Himmel verewigen. Hat Lovecraft die Überlieferungen der Pennacook nur erfunden? Da die neuenglischen Stämme schon lange ausgestorben sind, ist die Forschung hier nur als Archivarbeit möglich, und diese ist bisher nicht ernsthaft in Angriff genommen worden.
Alles in allem erwarten den Leser, die Leserin in ›The Whisperer in Darkness‹ eine Evokation des Kosmos und seiner Weite, wie sie die geschützte äußere und innere (mentale) Welt zweier Menschen destruiert. Die Unterwanderungs- und Verfolgungsängste, die hier literarisiert werden, münden in die schiere Faszination über die Begegnung mit den außerirdischen Wesen, auch wenn diese »schrecklich« sind. Der Flüsterer im Dunkeln flüstert noch zu uns, auch wenn wir die Geschichte schon lange zu Ende gelesen haben.
Der Flüsterer im Dunkeln
I
Man sollte sich stets im Klaren darüber sein, dass ich bis zum Schluss nichts wirklich Grauenhaftes gesehen habe. Doch bedeutet es, die offenkundigen Tatsachen meines Erlebnisses zu ignorieren, wenn man behauptet, ein seelischer Schock sei die Ursache meiner Schlussfolgerungen gewesen
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