Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
von Fakten, welche der jeweilige wissenschaftliche Diskurs ausblendet. Lovecraft hatte ihn schon in ›The Descendant‹ erwähnt und schreibt oft von ihm in seinem Briefen. Von modernen esoterischen, ufologischen oder prä-astronautischen Autoren unterscheidet sich Fort insofern, als er keine geschlossenen Theorien bietet, sondern nur merkwürdige und widersprüchliche Fakten (die er meistens aus Zeitungen gesammelt hatte). »Außerirdische Spione sind vielleicht unter uns« ist eine typische Fortsche Idee.
Wie fast alle Geschichten Lovecrafts hat auch ›The Whisperer in Darkness‹ stark autobiografische Züge. 1927 war Lovecraft zum ersten Mal kurz im amerikanischen Bundesstaat Vermont. Später hat er seine Eindrücke aus dieser Reise in einem enthusiastischen Essay verewigt (›Vermont – A First Impression‹, Driftwind, März 1928). Im Sommer 1928 verbrachte er dann zwei Wochen mit der Suche nach den Altertümern dieses Bundesstaates, wobei ihn Freunde (an denen Lovecraft nie Mangel hatte) mit ihren Autos durch die entlegenen Dörfer und Weiher fuhren. Lovecraft tauchte ganz in die ländliche Welt ein; er bestieg Berge, lernte Lagerfeuer in den Wäldern einzurichten und half bei der Suche nach einer verlaufenen Kuh. Am liebsten aber unterhielt er sich mit den alten Frauen und Männern, deren Erinnerung in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichte. Im Brattleboro Reformer, einer lokalen Zeitschrift, erschien ein Artikel über Lovecraft aus der Feder von Vrest Teachout Orton (1897–1986), einem der Gastgeber des Autors, in welchem dieser mit Poe verglichen wurde. Lovecraft hat sich gegen diesen Vergleich immer gewehrt, aber die Anerkennung muss ihm gutgetan haben. Die regelmäßige Kolumne, in der dieser Beitrag publiziert wurde, hieß ›The Pendrifter‹; der Leser wird ihr in der folgenden Novelle wieder begegnen. Die Verbindung eines ungebrochenen ländlichen Lebens mit allen Bausteinen neuenglischer Kultur hat Lovecraft beeindruckt und beschäftigt; er fühlte sich hier den Wurzeln seines geliebten Neuengland sehr nahe.
Vermont weckte aber auch düsterere Fantasien. Die dunklen brütenden Wälder, die kleinen gurgelnden Bäche, die Nähe einer unberührten Wildnis haben den Keim einer Geschichte gelegt, in der sich Lovecrafts spezifische Fähigkeit verwirklichen sollte, das Fremde, das ganz andere in konkreten regionalen Gegebenheiten anzusiedeln. Im November 1927 hatte es in Vermont gewaltige Überflutungen gegeben, die Lovecraft als Aufhänger seiner Erzählung benutzt. Auch sonst werden viele konkrete Reiseerinnerungen integriert: die Figur des Henry Wentworth Akeley z. B. basiert auf einem etwas einzelgängerischen Farmer Bert G. Akley, den Lovecraft 1928 kennengelernt hatte. Die Bauernhäuser von Vrest Orton und Arthur Goodenough haben die optischen Details geliefert, denen wir in Akeleys Hof begegnen; solchen entlegenen Häusern mitten in den Wäldern kann man noch heute in vielen Regionen Vermonts begegnen.
›The Whisperer in Darkness‹ wurde dann allerdings erst 1930 niedergeschrieben, in mehreren Anläufen und in mehreren Fassungen. Im Druck erschien die Novelle in Weird Tales, August 1931. Lovecraft erhielt dafür 350 $. Er hat sich mit dem Text sehr abgemüht und war mit mehreren früheren Fassungen (oder Anläufen zu solchen) nicht zufrieden. Begonnen am 24. Februar, nahm Lovecraft seine Notizen und Manuskripte mit auf seine sommerlichen Reisen 1930, um den Text seinen Freunden vorzulesen. Erst am 26. September 1930 hat er das Manuskript förmlich abgeschlossen. Damit hat Lovecraft wohl an keinem Text länger gefeilt als an diesem. Der Eindruck, dass Lovecraft im Jahr 1930 sonst nur wenig geschrieben hätte, täuscht; u. a. schloss er im Frühjahr für Zealia Bishop die Novelle ›The Mound‹ ab.
Die literarische Fehde in regionalen Zeitungen, mit der die Handlung von ›The Whisperer in Darkness‹ anhebt, erinnert daran, dass Lovecraft selbst gelegentlich in solche Fehden verwickelt war, 1914 etwa in zahlreichen Artikeln in The (Providence) Evening News mit dem Astrologen Joachim Friedrich Hartmann (1848–1930). Gegenüber okkultistischen Pseudowissenschaften mit Wirklichkeitsansprüchen hatte Lovecraft keinerlei Toleranz.
Die Örtlichkeiten von ›The Whisperer in Darkness‹ sind von Boston aus in wenigen Stunden zu erreichen. Leider sind sie heute ein beliebtes Winter-Erholungsgebiet, mit vielen Skiliften und Hotels in den ehemals einsamen Bergen. Diese darf man sich
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