Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
Aspekt, der zwar sexuelle Bezüge hat, aber darin nicht aufgeht? Verbotenes Wissen hat es sodann mit Macht zu tun, die uns »nicht zusteht«. Das gilt für vertrauliches technologisches Wissen, also z. B. für Firmengeheimnisse. Manches Kuriosum bleibt nicht aus. Oder wie sollte man sonst den Kult um die geheime Grundsubstanz von Coca-Cola erklären, die angeblich jeweils nur zwei lebende Menschen kennen? Zuletzt: Verbotenes Wissen hat mit Freiheit zu tun. Verbotenes Wissen ist erobertes Wissen, eine errungene Bewusstseinserweiterung, die Macht und Befreiung bedeuten würde (wenn man ihrer nur habhaft werden könnte).
All dieses klingt im Necronomicon an, dazu der Allmachtstraum der Magie, das elitäre Vergnügen am Geheimnis (wer hätte nicht gern ein Buch in Händen, von dem es nur fünf bekannte Exemplare auf der Welt gibt?), der Reiz des Verbotenen an und für sich, die Faszination einer altüberlieferten (hier nun allerdings nicht heilvollen, sondern subversiven) Weisheit. Das Necronomicon steht für alle diese Dinge und hat sich über seine Anfänge in der Fantasie Lovecrafts hinaus längst verselbstständigt: Es ist als Chiffre Teil der American popular culture geworden. Doch steht bei Lovecraft ein anderer Aspekt im Vordergrund: nicht Herrschaftswissen oder magische Macht, auch nicht subversive Gegenkultur, sondern radikale Infragestellung menschlichen Selbstbewusstseins. Wer das Necronomicon gelesen hat (wie der Biologe Lake in ›At the Mountains of Madness‹), kann nie mehr naiv »anthropozentrisch« denken, kann den Menschen nie mehr als Maß aller Dinge sehen. Das verbotene Buch werden wir nicht finden (jedenfalls nicht das Necronomicon). Aber ein paar wirklich gute Geschichten darüber gibt es, und nicht die schlechtesten stammen von unserem Autor.
Einen ersten Druck erlebte der folgende Text als vierseitiges Heftchen des Verlages The Rebel Press, hrg. von Wilson H. Shepherd, Oakman, Alabama 1938 (»Limited Memorial Edition« in einer Auflage von nur 80 Exemplaren). 1948 druckte ihn dann August Derleth mit ein paar Anmerkungen in der Hauszeitschrift seines Verlages Arkham House, The Arkham Sampler, Heft 1, 1.
Geschichte des Necronomicons
Ein knapper, jedoch vollständiger Abriss über die Geschichte dieses Buches, seinen Verfasser sowie seine verschiedenen Übersetzungen und Ausgaben von der Zeit der Entstehung des Necronomicons (730 n. Chr.) bis zum heutigen Tage.
Original-Titel: Al Azif – ›Azif‹ ist der Begriff, mit dem die Araber jenes nächtliche (von Insekten verursachte) Geräusch bezeichnen, hinter dem sie das Heulen der Dämonen vermuten.
Verfasst von Abdul Alhazred, einem wahnsinnigen Dichter aus der jemenitischen Stadt Sanaá, von dem es heißt, er habe während der Zeit des Kalifats der Omajaden, etwa 700 n. Chr., gewirkt. Er besuchte die Ruinen von Babylon und die unterirdischen Geheimnisse von Memphis und verbrachte ganz auf sich allein gestellt zehn Jahre in der großen südarabischen Wüste – die »Roba El Khaliyeh« oder »leere Weite« der Alten und die »Dahna« oder »Karminrote Wüste« der modernen Araber –, von der man glaubt, sie sei von bösen Schutzgeistern und Ungeheuern des Todes behaust. Über diese Wüste wurden viele seltsame und unglaubliche Wundergeschichten in Umlauf gebracht, von jenen, die behaupten, in sie vorgedrungen zu sein.
Seine letzten Jahre verbrachte Alhazred in Damaskus, wo er das Necronomicon (Al Azif) niederschrieb, und von seinem schließlichen Tod oder Verschwinden (738 n. Chr.) erzählt man sich mannigfache schreckliche und widerstreitende Dinge. Laut Ebn Khallikan (in einer Biografie aus dem 12. Jahrhundert) wurde er am helllichten Tage von einem unsichtbaren Ungeheuer gepackt und im Angesicht einer großen Zahl vor Angst erstarrter Zeugen auf grauenvolle Weise verschlungen. Über seinen Wahnsinn ist mancherlei im Schwange. Er erhob den Anspruch, das sagenhafte Irem, oder die Stadt der Säulen, gesehen zu haben, und unter den Ruinen einer gewissen Stadt ohne Namen inmitten der Wüste auf die schockierenden Chroniken und Geheimnisse einer Rasse gestoßen zu sein, die älter ist als die Menschheit. Er war seinem muslimischen Glauben nicht treu und betete zu unbekannten Wesenheiten, die er Yog-Sothoth und Cthulhu nannte.
Anno 950 wurde das Azif, das unter den Philosophen jener Zeit beträchtliche, wenn auch verschwiegene Verbreitung gefunden hatte, von Theodorus Philetas aus Konstantinopel unter dem Titel Necronomicon heimlich ins
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