Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)
1500–1569), der in seiner Schrift De illorum Daemonum, qui sub Lunari collimitio versantur, ortu, nominibus, officiis, illusionibus, potestate, vaticiniis, miraculis et quibus mediis in fugam compellantur, Isagoge (oft auch zitiert als Scientia ceremonialis ), Basel 1563, Kapitel 21, in einem Abschnitt, der über die Coscinomantie (die Kunst, aus Sieben die Zukunft vorherzusagen) handelt, wobei diese Worte (mit minimalen Variationen) zu sprechen seien. Dieses Buch wurde öfters mit spuriosen Agrippa-Schriften zusammen gedruckt, z. B. in Agrippas Opera omnia ( Lugd. apud Beringos fratres, ohne Jahr, aber um 1600, im ersten Band) oder 1665 in London in engl. Übersetzung mit dem gefälschten IV. Buch von De occulta philosophia (welches unsere Formel ebenfalls nicht enthält). (Eine deutsche Fassung ist in der von mir hrg. Agrippa-Ausgabe enthalten). Vielleicht wird ein besserer Kenner dieser Überlieferungen das Ganze noch einmal genauer traditionsgeschichtlich auflösen. Lovecrafts Quelle jedenfalls war offenbar nur Eliphas Levi. Doch ist er hier nicht ganz logisch: Curwen wird getötet, Wards Beschwörung dagegen ist erfolgreich (oder besteht der Erfolg von Curwens Beschwörung darin, dass sein Geist »außerhalb« lauert, um auf die Erde zurückzukehren?). Wie auch immer, für Lovecraft ist der rätselhafte Text doch wohl nur ein magisches Versatzstück. Ein eigentlicher Kenner der okkulten Traditionen des Westens war Lovecraft nicht.
In heutiger Lektüre erinnern die »essenziellen Salze« Curwens eigentümlich an einen genetischen Code; das ist aber eher ein Zufall. Der Gedanke, aus dem Staub der Verstorbenen könnte ihr Leib zurückgeholt werden, steckt hinter allen Formen der Nekromantie (religionsgeschichtlich gesehen ist diese Totenbeschwörung eine illegitime Konsequenz der christlichen Auferstehungshoffnung, die sozusagen magisch verfügbar gemacht wird).
Es hat in Neuengland trotz (oder wegen?) der strengen puritanischen Spiritualität immer auch eine »okkulte Unterströmung« gegeben, die sich oft keineswegs verstecken musste. Die Puritaner waren fanatisch, aber durchaus nicht geistig eng. Das gilt schon für den Hexenjäger Cotton Mather, dessen Bücher die erstaunlichsten okkultistischen Informationen und Ideen enthalten. Man wundert sich dann auch nicht, dass der Sohn des Gouverneurs von Massachusetts John Winthrop (1588–1649), nämlich John Winthrop Jr. (1606–1676), ein leidenschaftlicher Alchemist gewesen ist. Das hat seine politische Karriere nicht gehindert; 1657 wurde er wie sein Vater Gouverneur, wenn auch von Connecticut (welches Amt er bis zu seinem Tod wahrnahm). Nebenher hatte er Kontakt zu dem sozialutopischen Reformer Samuel Hartlib. Er hat manches mit Curwen gemeinsam; so war er 1628/29 aus purem alchemistischen Forschungsdrang in den Orient gereist und hatte sich einige Zeit in Konstantinopel aufgehalten. Allerdings waren seine Forschungen »praktischer« als die Curwens; 1648 gründete er auf Fishers Island eine Eisenhütte und wurde 1661 zum ersten amerikanischen Mitglied der Royal Society gewählt. Zu Lebzeiten als »Hermes christianus« und erster amerikanischer Adept berühmt, ging das Volk ihn oft um medizinische Heilmittel an, obwohl er nie Medizin studiert hatte (auch das hat er mit Curwen gemein!). Lovecraft muss von ihm außerordentlich fasziniert gewesen sein. Ich halte es für möglich, dass hier noch weitere Beziehungen der Entdeckung harren (Winthrop hatte einen Teil der Bibliothek von John Dee aufgekauft, welche mit weiteren Erwerbungen in seiner Familie bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts vererbt wurde und eine der größten Fachbibliotheken des 17. Jahrhunderts war, dann aber verstreut wurde). Auch Winthrops Sohn Waite Still Winthrop (1642–1707) und ein Enkel waren bekannte Alchemisten. Weiter mag man sich an den nicht weniger bekannten George Starkey erinnern, der – 1608 auf den Bermuda-Inseln geboren – nach seinem Studium in Harvard Kontakt zu Winthrop hatte und unter dem Pseudonym Eirenäus Philalethes erfolgreiche alchemistische Schriften schrieb (die Entschlüsselung des Pseudonyms gelang erst vor einigen Jahren), die wenig später Newton beeinflusst haben. 1665 starb er in London, als er bei der großen Pestepidemie Kranke behandelte und sich dabei infizierte.
In diese ganze Welt passt Joseph Curwen durchaus; auch hierin ist Lovecraft völlig »authentisch«. In der Tat, manches, was in Europa nur im Verborgenen möglich war, konnte sich in Englands
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