Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
schreckliches, sich auf unglaubliche Art voranbewegendes Wesen zu erspähen, ein Wesen, von dem wir uns eine klare Vorstellung gemacht hatten. Aber was wir dann sahen – denn die Dämpfe hatten sich wirklich unheilvoll gelichtet –, war etwas vollkommen anderes, etwas unendlich Grässlicheres. Es war die ultimative, reale Verkörperung des »Dinges, das nicht sein darf« der fantastischen Romanschreiber. Die ihm am nächsten kommende Beschreibung ist die einer ungeheuren, heranrasenden U-Bahn wie man sie vom Bahnsteig aus sieht – drohend und gigantisch tauchte die große schwarze Stirn aus unterirdischer Entfernung auf, bekränzt mit seltsam gefärbten Lichtern, den ungeheuren Schacht ausfüllend, wie ein Kolben sich durch einen Zylinder presst.
Doch wir standen nicht auf einem Bahnsteig – wir rannten auf den Gleisen! Die wabbelige Albtraumsäule quetschte ihren stinkenden, schwarzen, schillernden metergroßen Umfang eng in den Tunnel, raste heran, dabei einen wirbelnden, sich wieder verdichtenden fahlweißen Dampf aus dem Abgrund vor sich herwälzend. Es war ein unbeschreibliches Etwas, größer als jede U-Bahn-Lok – eine formlose Masse protoplasmatischer Blasen. Es leuchtete schwach aus sich selbst heraus und war mit Myriaden flüchtiger Augen bedeckt, die wie Eiterblasen auf der gesamten tunnelfüllenden Fratze grünlich aufglühten und aufplatzten. Es bohrte sich auf uns zu und zermalmte die verzweifelten Pinguine, glitschte über dem schimmernden Boden dahin, den es und seinesgleichen so eklig von allem Schutt freigefegt hatten.
Noch immer ertönte jener unheimliche, höhnische Schrei – »Tekeli-li! Tekeli-li!« Und jetzt erinnerten wir uns endlich, dass die dämonischen Schoggothen – die ihr Leben, ihr Denken und die formbaren Organstrukturen einzig und allein den Großen Alten verdankten – keine eigene Sprache kannten, außer der, die sich in den Punktmustern ausdrückte. Natürlich hatten sie auch keine eigenen Laute entwickelt – außer den nachgeahmten Tönen ihrer dahingegangenen Gebieter.
XII
Danforth und ich erinnern uns, den Weg durch die zyklopischen Räume und Korridore der toten Stadt zurückgesucht zu haben und irgendwann in das große, reliefgeschmückte Kuppelgewölbe hineingelaufen zu sein. Dies sind reine Traumbilder, ohne Einzelheiten, vorwärts ohne eigenen Willen und ohne bewusste körperliche Anstrengung. Es war, als trieben wir durch eine verschleierte Welt, eine Dimension ohne Zeit, Ursache oder Orientierung. Das graue Zwielicht des riesigen runden Platzes ernüchterte uns zwar ein wenig, den verschnürten Schlitten näherten wir uns dennoch nicht. Wir warfen auch keinen Blick mehr auf den armen Gedney und den Hund – die beiden haben ein seltsames und titanisches Grabmal, mögen sie dort bis zum Ende dieses Planeten ungestört ruhen.
Erst jetzt, als wir uns die gewaltige gewundene Rampe hinaufquälten, spürten wir die enorme Erschöpfung und die Kurzatmigkeit, hervorgerufen durch unsere Hetzjagd in der dünnen Luft der Hochebene. Aber selbst die Angst vor dem Zusammenbruch ließ uns keine Rast einlegen, ehe wir die normale Welt, bestehend aus Sonne und freiem Himmel, erreicht hatten. Irgendwie lag etwas Stimmiges in unserem Abschied von diesen verschütteten Zeitaltern, denn als wir keuchend den gewundenen, zwanzig Meter hohen Aufstieg durch den Zylinder aus urzeitlichem Mauerwerk hochstiegen, erspähten wir neben uns eine durchgängige Prozession erhabener Steinmetzarbeiten im frühen, ursprünglichen Stil der toten Rasse – ein Lebewohl der Großen Alten, geschrieben vor fünfzig Millionen Jahren.
Als wir endlich über den obersten Rand geklettert waren, standen wir auf einem großen Hügel zusammengestürzter Steinblöcke. Im Westen erhoben sich die gewundenen Grundmauern höherer Gebäude und hinter den stark verfallenen Bauwerken im Osten ragten düster die Gipfel der großen Berge hervor. Vom südlichen Horizont her schielte die tiefstehende antarktische Mitternachtssonne rot durch die Risse der zerfressenen Ruinen. Im Kontrast zu so relativ gewohnten Dingen wie der Polarlandschaft erschienen das grauenvolle Alter und die Todesstarre der Albtraumstadt nur noch trostloser.
Am Himmel über uns wirbelte eine regenbogenfarbige Masse dünner Eiswolken und die Kälte drang uns bis ins Mark. Kraftlos setzten wir die Taschen mit der Ausrüstung ab, die wir während unserer verzweifelten Flucht instinktiv umklammert hatten, und knöpften unsere dicken Jacken wieder
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