Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
mich mit allem Nötigen versorgen.«
Das Schiff wendete unter dem übermütigen Geschrei der Matrosen. Der auffrischende Wind blähte das Segel und trug sie in die ihnen vertrauten Gewässer zurück. Einige drehten sich zu Cluaran um und winkten. Ihr Misstrauen hatten sie bereits vergessen.
Cluaran ging den Damm entlang. Er rutschte bei jedem Schritt. Die Flaute hatte ihn vielleicht einen halben Tag gekostet. So hoch im Norden wurde es früh dunkel und er hatte vor Einbruch der Dunkelheit noch einen weiten Weg vor sich. An der Felswand führten einige in den Felsen gehauene Stufen zum Strand hinunter. In seiner Hast stolperte Cluaran auf der letzten und wäre auf den vereisten Kieseln fast gestürzt. Im selben Augenblick trat ein Mann hinter einem Felsen hervor und setzte ihm ein Messer an die Kehle.
»Ihr hättet nicht kommen sollen«, hörte er eine helle Stimme an seinem Ohr.
Cluarans Anspannung ließ ein wenig nach. »Ari. Seid mir ebenfalls gegrüßt.«
Das Messer bewegte sich nicht. »Ihr wisst, dass sie Euch immer noch nicht verziehen haben.«
»So, wie ich diese Frau immer noch liebe«, erwiderte Cluaran leise. Der Mann rührte sich nicht, und nach einer Weile hob Cluaran die Hand und drückte das Messer nach unten. Dann drehte er sich um. Aris Gesicht war weiß wie eine Kerze und seine Augen so grün und kalt wie Wasser unter einer Eisdecke. »Ihr habt Euch nicht verändert«, sagte er.
Aris Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos. »Nein, aber Ihr.«
Cluaran begann den Strand hinaufzugehen. »Seid Ihr hier, um mich gefangen zu nehmen oder um mir zu helfen? Ihr wisst, warum ich komme. Das Schwert ist zurückgekehrt und seine Trägerin wurde verschleppt. Womöglich befindet es sich schon im Eigg Loki. «
»Nein – noch nicht«, sagte Ari etwas lebhafter als bisher. »Einige von uns erinnern sich noch der alten Gefahr – wir bewachen den Berg und überprüfen alle, die dorthin gehen. Vor drei Tagen wurde der Drache am Himmel gesichtet. Zuerst flog er in Richtung Meer, dann kehrte er mit zwei Gefangenen in den Klauen zurück. Über den Schneefeldern ließ er sie fallen – wir haben keine Leichen gefunden, dafür Fußspuren, die in den Wald führten. Die Kinder leben und es kann ihnen vorerst nichts passieren. Doch ihre Bewegungen werden aufmerksam verfolgt. Vielleicht begeben sie sich in die Gefahr, die wir fürchten.«
Cluaran ging unbewusst schneller. »Dann müssen wir sie finden!« Der andere Mann schwieg und Cluaran drehte sich ungeduldig zu ihm um. »Kommt Ihr mit?«
»Ja …« Ari zögerte immer noch. »Aber zuerst müsst Ihr mit mir kommen. Sie wollen Euch sehen.«
»Ausgerechnet jetzt!«, rief Cluaran ungeduldig.
Ari blieb vollkommen unbewegt, doch fasste er Cluaran mit seiner schmalen Hand am Arm. »Ihr hättet ja auch früher kommen können«, sagte er entschieden. »Es gibt eine Schuld, die beglichen werden muss. Dann helfe ich Euch.«
Cluaran schluckte seinen Protest hinunter. »Also gut«, sagt er übellaunig. »Aber wir brechen unverzüglich auf und marschieren die ganze Nacht, verstanden? Ihr zwingt mich zu einem Umweg von mehreren Meilen und der größte Teil davon ist steinig und vereist. Ich hatte wenigstens am Wald entlanggehen wollen.«
Ari schien überrascht. »Aber wir brauchen nicht zu Fuß zu gehen!«
Sie hatten den Strand verlassen und gelangten auf einem verschneiten Pfad zur ersten Hütte. Drinnen rührte sich nichts, aber dahinter standen an einen Pfosten angebunden zwei Pferde, die vor Kälte unruhig stampften.
Cluaran musste trotz seiner Anspannung lächeln. »Ich stehe in Eurer Schuld, Meister Ari«, sagte er. »Wenn ich schon Unannehmlichkeiten entgegeneile, dann doch am besten auf vier Beinen.«
An einem anderen Ort lag in den Tiefen einer Höhle der Drache und brütete vor sich hin.
Er war noch nie verwundet worden und hatte noch nie versagt und seine Beute verloren. Jetzt war er auf einem Auge blind und sein Vorderbein wuchs schief zusammen und blieb steif. Jedes Mal, wenn er es bewegte, brummte er vor Schmerz und Zorn.
Eine dumpfe Wut erfüllte ihn unablässig und vor Wut hätte er fast getötet. Wieder spürte der Drache, wie der Vulkan in seinem Kopf ausbrach, seinen Zorn hinausbrüllte und Feuer über die ganze Welt spuckte, bis nichts mehr übrig war außer geschwärzten Steinen und weißer Asche … dann war die Wut verflogen, und eine kalte Stimme hatte geflüstert, noch sei die Beute nicht verloren, noch bewegten die beiden sich durch das
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