Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
Spalt. »Elsa!«, schrie er. Seine Stimme klang schrecklich dünn. Ob sie ihn überhaupt hörte? Elsa stand auf der anderen Seite des Spalts, unmittelbar an dessen Rand, und rief ihm etwas zu. Es klang dringlich, doch konnte er sie nicht verstehen.
»ELSA!«, brüllte Cathbar hinter ihm. Adrian zuckte zusammen und wieder verschwand eine kleine Eislawine polternd in der Tiefe. »Warte auf uns! Wir gehen um den Spalt herum!« Leiser fügte er hinzu: »Wie dumm von mir! Ich wusste doch, dass man dieser Frau nicht trauen darf!«
Elsa blickte immer noch zu ihnen zurück, doch Eolande fasste sie am Arm, redete eindringlich auf sie ein und deutete mit dem Arm über das Eis. Sie sagt, dass sie nicht warten soll, dachte Adrian. Schlagartig begriff er, dass Elsa in schrecklicher Gefahr schwebte. Wie hatte Eolande bewirkt, dass der Boden sich öffnete? Reglos und vollkommen ruhig hatte sie am Rand des Spalts gestanden, als habe sie im Voraus gewusst, was geschehen würde. Jetzt legte sie den Arm um Elsas Schultern und Elsa winkte ihm zu und wandte sich zum Gehen. Eolande beugte sich wie schützend über sie und Adrian wollte etwas rufen – Nein! Halt! –, suchte stattdessen jedoch instinktiv mit seinem Bewusstsein nach Eolandes Augen.
Er sah nur Weiß und wabernden Nebel, der alles zudeckte, Gedanken wie Bilder. Erschrocken zog er sich zurück – und sah, dass Eolande in der Ferne stehen geblieben war und sich zu ihm umgedreht hatte. Kalt hörte er ihre Stimme in seinem Kopf.
Das geht hier nicht, Kleiner.
Sie wandte sich ab und entfernte sich mit Elsa. Die beiden drehten sich nicht mehr um.
14. KAPITEL
Ich vollendete die Ketten an einem wolkenlos klaren Sonnentag. Ein Schatten fiel über den Herd der Schmiede und ich hob den Kopf. Vor mir standen die drei Fay, die mich hierhergeschickt hatten.
»Wo ist das Schwert?«, fragten sie.
Ich erwiderte, es wäre mir nicht gelungen, eine ausreichend scharfe Klinge zu schmieden. Stattdessen hätte ich diese Ketten gemacht. Von Ioneth sagte ich nichts.
»Das Eisvolk wird mir helfen, ihn zu fesseln«, sagte ich.
Sie betrachteten mich schweigend.
»Vielleicht können die Ketten ihn binden«, sagte der Größte, doch er klang nicht überzeugt.
»Nein«, sagte sein Gefährte, der Stimme nach zu urteilen eine Frau. »Aber wenn er es unbedingt versuchen will, werden wir ihm helfen. Die Zeit drängt.«
Mussten wir uns wirklich trennen?
Elsas Zweifel waren gewachsen, seit sie und Eolande die anderen drei auf der anderen Seite der Spalte zurückgelassen hatten und allein weitergegangen waren. Doch Eolande hatte sie zum Weitergehen gedrängt und war damit ihrer eigenen Ungeduld entgegengekommen. Vergeblich drehte sie sich jetzt nach den anderen um. Sie sah nur die beiden Fußspuren und das genarbte, von Felsen durchbrochene Eis, das scheinbar endlos darüber aufragte. Von der Spalte und von ihren Gefährten keine Spur. »Hoffentlich passiert ihnen nichts«, platzte sie heraus. Dass sie laut gesprochen hatte, merkte sie erst, als Eolande sich nach ihr umdrehte.
»Was sollte ihnen passieren?« Eolande klang ruhig. »Sie können den Weg zurück in meine Kammer im Felsen nicht verfehlen. Die Geister werden ihnen nichts tun. Und wenn sie uns folgen wollen … das Mädchen, Fritha, ist hier aufgewachsen und weiß, wie man sich auf einem Gletscher verhalten muss. Und der Mann, dein Diener, schien mir nicht zu denen zu gehören, die unnötige Risiken eingehen. Aber wir haben keine Zeit, auf sie zu warten.«
»Er ist nicht mein Diener!«, sagte Elsa, doch Eolande ging bereits weiter. Der Weg war schmäler geworden. In einiger Entfernung vor ihnen verlor er sich ganz in den Platten und Falten des Eises. Das Eis fiel allerdings weniger steil ab als zuvor. Eolande nahm Elsa am Arm und führte sie in eine Eisrinne.
»Von jetzt an wird der Weg schlechter«, warnte sie. »Wir müssen aufpassen, dürfen aber nicht langsamer werden. Wenn ihr euer Ziel erreichen wollt, du und Ioneth, müsst ihr noch vor Mittag am Fuß des Berges sein.«
Elsa blieb stehen. »Ihr … kennt diesen Namen?« Die Wesen im See hatten ihn gemurmelt, und die Geister, die das Leben aus ihr hatten heraussaugen wollen, hatten ihn gezischelt, aber eine lebende Person hatte ihn noch nicht ausgesprochen.
»Natürlich«, sagte Eolande. »Das Schwert, das du trägst, heißt so. Aber das weißt du bestimmt selbst.« Sie war nicht stehen geblieben, als sei nicht einmal dafür Zeit.
Elsa folgte ihr. »Woher wisst Ihr es?«,
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