Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
erschrak. Adrian lag leise schnarchend ein wenig weiter weg, aber zwischen ihnen lag nur eine zerknitterte Decke. Der Junge war verschwunden.
Elsa richtete sich auf und sah sich in Panik um. Die helle Mondsichel beschien die leere Straße, die sich nach beiden Seiten erstreckte. Dann entdeckte sie einen hellen Schopf Haare.
»Wulf!«, zischte sie wütend und zugleich schwach vor Erleichterung. »Komm zurück!«
Doch der Junge war schon wieder hinter einem Baum verschwunden.
»Wulf!«, rief sie lauter. Als Antwort hörte sie nur ein fernes Rascheln – Wulf rannte tiefer in den Wald hinein. Sie seufzte, schlug ihren Umhang um sich und folgte ihm rufend.
Zwischen den Bäumen verlief kein richtiger Weg, und das Mondlicht, das zwischen den Ästen hindurchsickerte, tauchte das Unterholz in ein sich immerwährend verschiebendes Gewirr aus Licht und Schatten. Elsa zwängte sich in der Richtung, in der Wulf verschwunden war, durch das Unterholz. Sie übersah einen Baumstumpf und schürfte sich das Schienbein auf. Leise fluchte sie. Von dem Jungen war keine Spur zu sehen, deshalb blieb sie nach einigen Schritten stehen und lauschte. Von rechts hörte sie leise Schritte. Sie wandte sich in die entsprechende Richtung. Hoffentlich fand sie später wieder zurück! Im selben Moment hörte sie hinter sich ein Geräusch.
Der fränkische Händler Menobert hatte vor Bären im Wald gewarnt und vor Elchen und Auerochsen, die schneller als ein Mensch laufen und ihn zu Tode trampeln konnten. Elsa hatte nicht einmal daran gedacht, ihr neues Schwert mitzunehmen. »Wulf!«, rief sie verzweifelt und schob sich weiter durch das Gebüsch. Dornige Äste zogen an ihren Kleidern.
Ein Busch unmittelbar vor ihr schüttelte sich vor Lachen. Eine kleine Hand teilte die Äste und Wulf streckte sein Gesicht heraus. Es leuchtete bleich im Mondlicht und Wulf grinste übermütig.
»Ich hab was gefunden, Elsa!«, krähte er. »Komm, ich zeig’s dir.«
»Nein, Wulf!«, sagte sie mit aller Strenge, die sie aufbieten konnte. »Du kommst sofort mit zurück!« In welche Richtung mussten sie eigentlich gehen? Sie zog an Wulfs Hand und der Junge kletterte aus dem Busch heraus.
»Lass es mich dir zeigen!«, bettelte er und zerrte an ihrer Hand. »Es ist so lustig!«
Zwischen den Bäumen hinter ihnen bewegte sich etwas und Elsa fuhr herum. Cluaran kam auf sie zu. Seine Augen funkelten.
»Ihr kommt beide sofort mit zurück!«, sagte er barsch.
Wulf schien zu wissen, wann Widerspruch zwecklos war. Er zuckte nur mit den Schultern, schob sich an Cluaran vorbei, als kenne er den Weg auswendig, und schlüpfte durch das dornige Gestrüpp.
»Ich hätte dich für vernünftiger gehalten, Elsa«, sagte Cluaran. »Wulf ist noch ein Kind, aber was hast du dir gedacht? Einfach nachts in den Wald zu gehen, ohne den Weg zu kennen?«
»Wulf ist weggelaufen«, verteidigte Elsa sich. »Ich bin ihm gefolgt und wollte ihn zurückholen.«
»Und warum hast du niemanden geweckt?«, entgegnete Cluaran. »Deine Zuneigung zu dem Jungen macht dich blind! Was nützt uns diese Reise und überhaupt alles, was wir tun, wenn dir etwas zustößt?«
Also deshalb war er so wütend, dachte Elsa. Als Wulf am Abend davongerannt war, hatte er sich keine Sorgen gemacht. Die kamen erst, als sie verschwunden war.
Oder eigentlich fürchtete er weniger für sie als für Ioneth, die er dann wieder verloren hätte.
Elsa schwieg verlegen und verärgert zugleich und sie kehrten zum Lager zurück. Cluaran war immer freundlich zu ihr gewesen – natürlich, dachte sie –, aber noch nie so besorgt wie jetzt. Der Grund dafür war offenbar, dass sie die letzte Verbindung zu seiner Geliebten darstellte. Sie hatte Cluaran gesagt, Ioneth befinde sich noch in ihrem Kopf – was auch stimmte, auch wenn die Stimme nicht mehr zu ihr sprach. Ihre Träume von dem kleinen Mädchen in der Eishöhle mussten von Ioneth kommen. Auf einmal stand ihr wieder ihr letzter Traum vor Augen, als sie am Webstuhl gesessen und geholfen hatte, das schwere Schiffchen hin und her zu schieben. Sie summte die Melodie, die sie im Traum gehört hatte.
Cluaran rief erstaunt etwas, und sie merkte, dass er sie anstarrte. »Was singst du da?«, fragte er.
»Ach, nur eine Melodie«, sagte sie verlegen. »Ich habe sie irgendwo gehört.«
Er musterte sie seltsam eindringlich, sagte aber nichts mehr.
Bei ihrem Eintreffen im Lager wartete Wulf auf sie. Er wirkte weder eingeschüchtert noch verlegen. Da es nicht mehr lange bis
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