Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
– wir können uns nur an Geschichten und Gerüchten orientieren. Aber ich spüre, dass wir ihm hier nahe sind, und ich weiß, dass Cluaran es auch spürt.«
Der Wald wurde dichter und dunkler. Zweimal sahen sie einen hölzernen Bildstock am Wegrand stehen. Der eine zeigte wieder den bärtigen Mann mit dem Haarkranz aus Sonnenstrahlen, der andere eine unbeholfen geschnitzte, von denselben Strahlen umgebene Hand.
»Glaubst du, dass die neu sind?«, fragte Adrian und betrachtete den zweiten Bildstock näher.
Er sah nicht so aus, als sei er erst in jüngerer Zeit geschnitzt worden, überlegte Elsa. »Menobert meinte, gegenwärtig entstünden überall neue Religionen.«
»Das ist bezeichnend für unsere Zeit«, fiel Cathbar ein. »Wenn Not und Gefahr überhandnehmen, suchen alle nach etwas Neuem, an das sie glauben können, egal was.«
»Aber hier scheint niemand zu beten«, sagte Elsa. Sie waren seit über einem halben Tag auf dieser Straße nach Süden unterwegs und noch keiner Menschenseele begegnet.
Cluaran ging mit Eolande voraus. Er hatte sich offenbar mit Wulfs Anwesenheit abgefunden, und Elsa sorgte dafür, dass der Junge neben ihr ging und den anderen nicht zur Last fiel. Zu ihrer Beruhigung konnte Wulf mühelos mit ihr Schritt halten und klagte nie über Müdigkeit, obwohl er mit seinen Lumpenschuhen ständig auf dem verrotteten Laub ausrutschte. Als sie anhielten, wollte er sich sofort nützlich machen. Er lief tief in den Wald hinein, um Brennholz zu sammeln, und zog bei seiner Rückkehr einen Ast hinter sich her, der länger war als er selbst und so schwer, dass Elsa nicht wusste, wie er ihn überhaupt hatte hochheben können. Während die anderen begannen, den Ast zu zerkleinern, rannte der Junge wieder los.
»Aber nicht zu weit, Wulf!«, rief Elsa ihm nach. »Es wird schon dunkel!«
»Lass ihn«, sagte Cluaran. »Du siehst ja, dass er im Wald zu Hause ist. Ihm wird nichts passieren.« Seine Zuversicht freute Elsa. Wulf wurde allmählich als Mitglied der Gruppe anerkannt.
Bei Sonnenuntergang kehrte Wulf zurück. Seine Kleider waren schmutzig, er hatte die Vorderseite seines Hemds geschürzt und mit Pilzen gefüllt. Cluaran erklärte die Pilze nach einer kurzen Untersuchung für essbar. »Woher kennst du dich mit Pilzen aus?«, wollte er wissen. Er klang überrascht. Wulf lachte erfreut, gab aber keine Antwort.
Sie bereiteten die Pilze zusammen mit wilden Zwiebeln in Cluarans Pfanne zu und verzehrten sie um das Feuer sitzend zusammen mit ihrem letzten Brot. Der kalte Wind hatte sich gelegt oder wurde durch die Bäume abgehalten. Beim Anblick der im Feuerschein leuchtenden Gesichter ihrer Freunde überkam Elsa plötzlich ein Gefühl des Friedens.
»Das schmeckt gut«, sagte Eolande. Elsa fuhr beim Klang ihrer Stimme zusammen. Cluaran bot seiner Mutter noch mehr von den Pilzen an und Wulf strahlte vor Stolz. Adrian, der seinen Mantel wieder angezogen hatte, prostete dem Jungen mit seiner Wasserflasche wie mit einem Glas lächelnd zu. Der helle Kreis des Feuers gleicht einem friedlichen Hafen, dachte Elsa, wenn auch nur für eine Nacht. Solange es brannte, konnte ihnen nichts zustoßen.
Endlich streute Cluaran Asche auf das Feuer und sie legten sich in seinem Schein zum Schlafen nieder. Wulf lag zwischen Elsa und Adrian, eingewickelt in den Mantel und die Decke, die er auf seinem Handkarren dabeigehabt hatte, und lächelte im Schlaf.
Mitten in der Nacht wachte Elsa plötzlich auf. Sofort musste sie an die schrecklichen Ereignisse denken, die sie in anderen Nächten geweckt hatten, und ein Schauer überlief sie. Doch nichts war zu hören und nichts bewegte sich. Sie spürte die Glut des Feuers noch warm an ihren Füßen und hörte den leisen Atem der anderen. Beruhigt schloss sie die Augen und versuchte sich an ihren Traum zu erinnern. Sie war wieder Ioneth gewesen, das Kind der Eishöhlen. Diesmal rannte sie nicht und hatte auch keine Angst. Sie saß mit ihrer Mutter und ihren Schwestern zu Hause, sang und lernte zu weben. Das Weberschiffchen fuhr im Rhythmus der Melodie hin und her. Ein schöner Traum – obwohl Elsa ihre Mutter nie gekannt hatte und auch nicht weben konnte. Konntest du das, Ioneth?, fragte sie Ioneth in Gedanken. Ob die Stimme ihr leise antwortete? Jedenfalls so leise, dass Elsa sie nicht hörte. Die Melodie ging ihr weiter durch den Kopf und sie summte sie leise mit.
Am nächsten Morgen wollte sie sie Wulf vorsingen.
Wulf! Elsa spürte den leeren Platz neben sich und
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