Chroniken der Jägerin 3
trug. Ich hatte ihn schon früher einmal
schießen sehen. Er war ein guter Schütze, jedenfalls auf kurze Distanz. Mich beschlich der starke Verdacht, dass er offenbar nicht vorhatte, das Priesteramt noch einmal anzutreten.
Killy sprach nicht mit mir. Sie sah mich auch nicht an. Und zögerte nur kurz, als sie Mama-Blut erkannte. Dann noch einmal, als die Botin auftauchte. Sie war von oben heruntergekommen und stand jetzt schweigend im Dunkeln, hörte zu und beobachtete.
Killy sagte nichts. Sie holte nur tief und vernehmlich Luft, ging an mir vorbei und verschwand über die Treppe nach oben.
Vater Lawrence sah uns alle nacheinander an, ließ seinen Blick dann aber auf mir ruhen. »Ist es so weit, Jägerin?«
Ich konnte nur ahnen, was er meinte, aber es schien mir das Sicherste zu sein, mit »Ja« zu antworten.
Der Priester nickte mit einer Wehmut, die mir ins Herz schnitt, und sagte dann zu Grant: »Pass auf sie auf.«
»Und pass du auf Killy und Byron auf«, entgegnete Grant.
Mama-Blut war schon auf dem Rückzug zur Tür. Ihr Gesicht zeigte Ekel und Furcht. Ich streckte meine Hand nach Grant aus – und er nahm sie. Die Botin ergriff meine Schulter. Zee wickelte seine Pfoten um mein Handgelenk. Alle Jungs drängten sich ganz eng um mich.
Ich schloss die Augen. Konzentrierte mich. Die Rüstung regte sich. Genau wie die Narbe unter meinem Ohr.
»Auf geht’s«, flüsterte ich.
Wir betraten den Wald unter dem Riss im Schleier, während es dunkel und kalt war, wenn man einmal von dem roten Riss absah, der gefroren im Himmel stand. Ich konnte keinen der Dämonen entdecken, aber das hatte nichts zu bedeuten. Ich
roch Blut, und dieser Duft weckte in meinem tiefsten Inneren Hunger. Die Dunkelheit wanderte meine Kehle empor und breitete sich unter meiner Haut aus. Zee und die Jungs starrten hoch und höher. Ihre Augen glühten.
»Sobald ich Jack habe, verschwinde ich von hier«, sagte ich zu Grant und ärgerte mich darüber, wie atemlos ich klang. »Wenn ich länger als fünf Minuten fort bin, dann brecht ohne mich auf.«
»In Ordnung«, antwortete er. »Genau das hatte ich ohnehin vor.«
»Ich meine es ernst. Bist du sicher, dass du es schaffst?«
»Kein bisschen.«
»Lügner«, sagte ich und sah, wie sich sein Mund zu einem winzigen Lächeln verzog, was aber nichts an dem grimmigen Ausdruck seines Blickes änderte – oder daran, wie er die Kiefer zusammenpresste.
Dann warf ich einen Blick zur Botin hinüber. »Denk an das, was ich über die Mahati gesagt habe.«
Sie sah mich nicht an und starrte nur hoch zu dem Riss im Himmel hin. Ich weigerte mich hinaufzuschauen, denn ich war mir nicht sicher, ob ich dann noch imstande sein würde, die Sache durchzuziehen. Es spielte keine Rolle, wie viel Macht ich angeblich besaß. Es spielte auch keine Rolle, dass ich die Jungs hatte. Ich fühlte mich klein und ängstlich, wie ein Kind in einem dunklen Keller. Ich fürchtete mich vor dem, was ich vorfinden würde, und auch vor dem, was mir zustoßen könnte. Vor meinem Scheitern hatte ich eine Todesangst.
Noch einmal sah ich Grant an und versuchte ihn mir einzuprägen. Ich fühlte jenen zweiten Pulsschlag, der in meinem Herzen pochte – unsere Verbindung, weiß und glühend.
»Sei vorsichtig«, flüsterte er.
»Du auch«, entgegnete ich und rammte mir die gerüstete Faust gegen die Brust.
Sekunden später stand ich im Gefängnisschleier.
Von all den Albträumen, all jenen Dingen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie jemals tun müsste, rangierte das Betreten des Gefängnisschleiers bestimmt ganz oben auf der Liste. Ich hatte keine Vorstellung davon, was mich dort erwarten würde: Feuer vielleicht, brennende Luft, Schwefel, Säure.
Qualen.
Stattdessen ging ich über ein felsiges Plateau, das wie der erste Flecken Land aussah, der aus dem Ozean emporgeworfen worden war. Rissig, dampfend, wirkte es von dem Geruch nach Blut und Schwefel eigenartig schwer. Zee, Rohw und Aaz wimmelten um mich herum oder hockten und starrten. Dek hing mir am Hals. Mal war bei Grant geblieben.
Wolken zogen golden und purpurn über den Himmel, in der Ferne sah ich Statuen. Riesige, aus Stein gehauene Bestien mit Flügeln, Krallen und langgezogenen, scharf geschnittenen Gesichtern, die an die Mahati erinnerten. Vor ihnen bewegten sich kleine Grüppchen, Rauch stieg auf, Mauern wurden sichtbar. Die Häuser waren direkt aus dem Fels geschlagen.
Von dort bis dahin, wo ich mich befand, und überall um mich herum waren
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