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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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euch denn Angst gemacht?«
    »Versuchst du nicht mal mehr, deine Fähigkeit zu verbergen?«
    Er ächzte und setzte sich stöhnend neben mich. Ich gab ihm meinen heißen Apfelwein, zog sein krankes Bein auf meinen Schoß und massierte seinen Oberschenkel knapp überm Knie. Rohw rutschte näher, um an seiner Wade zu arbeiten und suchte mit langen Klauen die Druckpunkte. Dek und Mal fingen an, Billy Joels She’s Got A Way zu summen.
    »Dieses Ding da in mir«, sagte ich schließlich, »hat seinen eigenen Kopf.«
    Zee warf mir rasch einen Blick zu. Alle Jungs machten das. Ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt. Ich hätte Grant noch mehr erzählen können, aber nicht jetzt. Nicht, bevor ich Zeit zum Nachdenken gehabt hatte.

    Trotzdem wusste er, dass ich ihm etwas verheimlichte. Ich gab mir keine große Mühe, das zu verbergen. Aber statt in mich zu dringen, lehnte er sich an die Wand, betrachtete mein Gesicht und trank ein paar Schlucke von dem Apfelwein.
    »Ziemlich nass hier unten«, sagte er mit all der Gelassenheit, zu der ein Mann fähig ist, wenn er angestrengt versucht, nicht auf die Nerven zu gehen.
    »Regen«, entgegnete ich. »Was ist mit Jack?«
    Seine Augen wurden schmal. »Die Entnahme ist abgeschlossen. Rohw hat noch geholfen, bevor er verschwunden ist.«
    Er stellte den Apfelwein ab und zog das Amulett seiner Mutter hervor. »Jack hat es zurückgegeben.«
    Ich zog den Ring der Saat aus meiner Westentasche und hielt ihn neben das Amulett. Die Gegenstände waren zwar unterschiedlich gestaltet, aber beide störten meine optische Wahrnehmung. Ich konnte meine Augen nicht scharf stellen – so wirkten sie wie weich gezeichnet; es war, als schaute ich auf ein 3-D-Poster, nur ohne die dazugehörige Brille.
    »Huh«, sagte Grant.
    »Wollen wir wetten, dass das Ding in Mary und der Knochen, den sich Jack aus seinem Arm entfernt hat, auch Ringe der Saat sind?«
    Er schnitt eine Grimasse und schaukelte die Gegenstände auf seiner Handfläche. »Ich weiß nicht, wie ich das finden soll. Erinnerungen sind doch heilig. Genau wie Gedanken. Ich sehe immer welche. Manchmal … wäre es schöner, sie nicht zu sehen. Aber wenn das hier ein Ring der Saat ist und etwas von meiner Mutter oder irgendjemand anderem darin enthalten sein sollte…« Er hielt inne und ließ die Kette des Amuletts über seinen Kopf gleiten. »Weshalb ist unser Leben nur so kompliziert geworden?«

    Weshalb nicht?, wollte ich schon antworten, aber ich hielt es für angebrachter zu schweigen. Ich schaute zur Treppenhaustür und dem goldgelben Licht hinüber, das vom Apartment heraufflutete. »Ich würde gern weglaufen.«
    »Wir sollten nach Paris gehen, oder nach Wien.«
    »Nach Ägypten. Dann hätte ich eine Entschuldigung, meine Arme bedeckt zu halten.«
    »Ich kenne Rom so gut wie meine Westentasche.«
    Ich lächelte. »Hast du schon mal darüber nachgedacht, das Obdachlosenasyl jemand anderem zu übergeben?«
    »Immer öfter.«
    »Und was würdest du mit deiner freien Zeit anfangen?«
    »Ich würde ein besserer Mensch werden.«
    »Ausgeschlossen. Du bist doch schon vollkommen.«
    Grant küsste mich auf den Hals. »Komm, lass uns herausfinden, was an Jacks Arm so wichtig ist.«
    Wir hielten uns an den Händen, als wir über das Dach spazierten. Ich dachte an Paris und Rom.
    Und an den Riss im Gefängnisschleier.
    Du solltest dort sein , dachte ein Teil von mir. Und Wache halten .
    Aber am Riss zu wachen würde auch nichts nützen. Jedenfalls nicht auf Dauer, nicht solange auf der anderen Seite irgendeine Restarmee nur darauf wartete, diese Welt heimzusuchen.
    Diese Welt, in der niemand an Magie glaubte. Die Dämonen würden sich ausbreiten und mit ihnen das Chaos. Ich wusste nicht, ob sie von Feuerwaffen aufgehalten werden konnten. Vielleicht wäre es möglich, aber es gäbe sicher nicht genug Schießeisen und auch nicht genug Menschen, die mit ihnen umgehen konnten, um die Menschheit zu schützen.
    Hausfrauen und ihre Kinder… gejagt von den Mahati. Krankenhäuser,
Schulen und Einkaufszentren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Lord Ha’an seine ausgemergelten, hungrigen Mahati-Truppen durch die Innenstadt von Seattle führte … eine Vision, die gleichermaßen absurd und furchterregend war.
    Und sie war so nah. Die Katastrophe konnte jeden Augenblick ausbrechen.
    Wir müssen den Schleier schließen , dachte ich. Wir müssen es tun .
    Ein paar Treppen unter uns war ein Fenster geöffnet worden, aber es roch immer noch nach frischer

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