Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
mehr als unauffällig bezeichnen ließ. Clary blinzelte und schaute fort.
»Du warst ja nicht zu Hause und wir konnten sonst niemanden erreichen – also sind wir selbst hierhergekommen«, fuhr Alec fort.
»Alec …«
»Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, sagte Alec. »Sie sind tot. Die Brüder der Stille. Alle tot … ermordet.«
Dieses Mal erklang kein einziger Laut aus der Menge und eine angespannte Stille breitete sich aus – wie bei einem Rudel Löwen, das eine Gazelle erblickt hat.
»Tot?« , wiederholte Maryse. »Was meinst du mit ›sie sind tot‹?«
»Ich denke, es ist ziemlich deutlich, was er meint.« Eine Frau in einem langen grauen Umhang war plötzlich an Maryses Seite aufgetaucht. Im flackernden Schein der Elbensteine erinnerte sie Clary an eine Schwarz-Weiß-Karikatur – eckig und kantig, mit streng zurückgekämmten Haaren und Augen, die wie schwarze Löcher in ihrem Gesicht lagen. In der Hand hielt sie einen schimmernden Elbenstein an einer langen Silberkette, die um die dürrsten Finger gewickelt war, die Clary je gesehen hatte. »Sie sind alle tot?«, wandte sie sich an Alec. »Ihr habt in der Stillen Stadt keinen einzigen Überlebenden gefunden?«
Alec schüttelte den Kopf. »Jedenfalls haben wir niemanden gesehen, Inquisitorin.«
Also das war die Inquisitorin, dachte Clary. Dem Äußeren nach wirkte sie tatsächlich wie jemand, der einen Jugendlichen nur deshalb ins Verlies warf, weil ihr seine Haltung nicht gefiel.
»So, so, niemanden gesehen «, wiederholte die Inquisitorin, deren Augen wie harte Perlen glitzerten. Abrupt wandte sie sich Maryse zu. »Möglicherweise gibt es da unten doch noch Überlebende. An deiner Stelle würde ich meine Leute in die Stadt hinabschicken und alles gründlich durchsuchen lassen.«
Maryse presste die Lippen zusammen. Von dem wenigen, das Clary inzwischen über Maryse in Erfahrung gebracht hatte, wusste sie, dass Jace’ Adoptivmutter es überhaupt nicht schätzte, wenn man ihr vorschrieb, was sie zu tun hatte. »Sehr wohl, Inquisitorin.«
Sie drehte sich zu den anderen Männern und Frauen um. Tatsächlich waren es nicht so viele Schattenjäger, wie Clary anfangs gedacht hatte – eher zwanzig als dreißig –, aber ihr plötzliches Auftauchen hatte sie in Clarys Augen wie eine riesige Menge erscheinen lassen.
In leisem Ton wechselte Maryse mit Malik ein paar Worte. Er nickte. Dann nahm er den Arm der silberhaarigen Frau und führte die Schattenjäger zum Eingang der Stillen Stadt. Als sie einer nach dem anderen die Stufen hinabstiegen und ihre Elbenlichter mitnahmen, ließ der helle Schein auf dem Friedhof langsam nach. Als letzte trat die Frau mit den silberweißen Haaren in das klaffende Loch im Boden, hielt dann aber plötzlich inne und schaute noch einmal zurück – direkt zu Clary. Aus ihren Augen sprach eine schreckliche Sehnsucht, als müsste sie Clary dringend etwas mitteilen. Doch dann zog sie sich die Kapuze über den Kopf und verschwand ebenfalls in der Dunkelheit.
»Warum sollte jemand die Stillen Brüder ermorden?«, brach Maryse die Stille, die unter der verbleibenden Gruppe eingekehrt war. »Sie sind keine Krieger und tragen keine Kampfrunen …«
»Sei doch nicht so naiv, Maryse«, schnaubte die Inquisitorin. »Dieser Angriff erfolgte nicht zufällig. Die Mitglieder der Bruderschaft mögen keine Krieger sein, aber sie sind Wächter, und zwar ziemlich gute. Und dass sie sich nur schwer töten lassen, brauche ich ja wohl kaum zu erwähnen. Irgendjemand wollte etwas Bestimmtes aus der Stadt der Gebeine und war bereit, die Stillen Brüder zu beseitigen, um es in seinen Besitz zu bringen. Das war purer Vorsatz.«
»Was macht dich so sicher?«
»Dieses fruchtlose Unterfangen im Central Park. Die sinnlose Suche nach dem Mörder dieses Feenkinds.«
»Das würde ich nicht unbedingt als fruchtloses Unterfangen bezeichnen. Dem Feenkind hatte man das Blut abgezapft, genau wie den anderen toten Jugendlichen. Diese Morde könnten ernsthafte Schwierigkeiten zwischen den Kindern der Nacht und den übrigen Schattenwesen verursachen …«
»Das sind nur Ablenkungsmanöver«, erwiderte die Inquisitorin verächtlich. »Er wollte, dass wir das Institut verlassen, damit niemand reagieren konnte, als die Brüder dort Hilfe suchten. Wirklich raffiniert. Aber das war er ja schon immer.«
»Er?«, fragte Isabelle. Ihr Gesicht leuchtete sehr bleich zwischen ihren dunklen Haaren. »Sie meinen …«
In dem Moment meldete Jace sich zu Wort
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